14a Stephanie Plum: Der Winterwundermann (Visions of Sugar Plums)
müssen. Die Wahrheit ist hässlich und sieht so aus: Als wir klein waren, war Valerie immer das perfekte Kind gewesen. Ich hatte die blutigen Knie, ich vermasselte so gut wie jedes Diktat, und ich lebte irgendwie auf einem anderen Stern. Meine gesamte Kindheit war im Grunde ein außerkörperliches Erlebnis. Selbst später, als wir erwachsen waren, änderte sich nicht viel. Vale rie führte die tolle Ehe, und sie schenkte meinen Eltern zwei Enkelkinder. Ich hatte eine schreckliche Ehe, und sie endete, bevor mein Vater die Hochzeit abbezahlt hatte. Ich liebe meine Schwester, und ich wünsche ihr alles Gute, aber manchmal musste ich doch schmunzeln, jetzt, wo sie in der Scheiße sitzt.
»Oha«, sagte Diesel. »Das Lachen gefällt mir aber gar nicht.«
»Ist mir rausgerutscht, sozusagen. Eigentlich brauche ich Ihre Hilfe bei was anderem. Ich muss ein Türschloss öffnen.«
»Irgendwann zeige ich Ihnen mal, was ich sonst noch so draufhabe.«
Ach, du Scheiße. Es ist nie gut, wenn ein Mann anfängt, über seine speziellen Talente zu reden. Ehe man sich versieht, steht man in seiner Werkstatt und kriegt einen Schlagbohrhammer oder Ähnliches vorgeführt. Und nachdem man die ganzen Werkzeuge gebührend bewundert hat, bleibt zuletzt nur noch ein Teil in der Kiste übrig, das hervorgeholt werden will. Die Bandsägemaschine. Irgendwann sollte man wirklich mal eine wissenschaftliche Untersuchung über Bandsägemaschinen und deren Auswirkung auf die Testosteronproduktion durchführen.
Wieder zurück bei meinen Eltern, drängelten sich alle Hausbewohner vor der Toilette. Mary Alice galoppierte im Kreis, die übrigen Familienmitglieder gingen abwechselnd auf und ab, brüllten oder bollerten gegen die Tür.
»Echt irre«, sagte Diesel zu mir. »Ich bin immer wieder von den Socken, wie absolut gestört, ja komplett gaga eine Familie sein kann und doch als Einheit funktioniert. Soll ich die Tür für Sie öffnen?«
»Nein.« Ich hatte Angst, sie würden alle auf einmal die Tür einrennen, und es könnte jemand bei dem Massenansturm zu Tode getrampelt werden. Ich ging nach unten in die Küche und durch den Hintereingang nach draußen. Über der hinteren Veranda befand sich ein kleines Dach, das an das Toilettenfenster grenzte. Wenn ich früher zu meinen Freundinnen wollte, war ich immer aus dem Fenster geklettert. »Helfen Sie mir mal rauf«, bat ich Diesel. »Ich hole Valerie hier heraus. Dann können Sie von innen die Tür aufmachen.«
Diesel verschränkte die Finger ineinander, ich steckte einen Fuß in den Steigbügel, und Diesel hob mich hoch bis zum Dach. Ich war schwer beeindruckt, wie stark der Kerl war.
»Könnten Sie auch einen Güterzug zum Stoppen bringen?«, fragte ich ihn.
»Einen Güterzug wahrscheinlich nicht. Dazu müsste ich Superman sein.«
Ich schaute durchs Fenster und sah Valerie auf der Toilette sitzen und auf den kleinen Teststreifen starren. Als ich ans Fenster klopfte, blickte sie hoch.
»Mach auf!«, sagte ich. »Es ist kalt hier draußen.«
Sie drückte sich die Nase an der Scheibe platt und guckte hinaus. »Bist du allein?«
»Diesel ist bei mir.«
Sie sah nach unten, und Diesel winkte ihr, ein albernes Winken mit dem kleinen Finger.
Valerie machte das Fenster auf, und ich kletterte ins Badezimmer.
»Was ist los?«, fragte ich sie.
»Guck mal, mein Teststreifen!«
»Vielleicht ist es ein Irrtum.«
»Das ist jetzt mein fünfter Test, und alle waren positiv. Ich bin schwanger, verdammt noch mal, ich bin schwanger. Albert Kloughn hat mir einen dicken Bauch gemacht.«
»Hast du keine Verhütungsmittel benutzt?«
»Nein, ich habe keine Verhütungsmittel benutzt. Bei dem Kloughn? Der sieht doch aus wie ein Hefebrot vorm Aufbacken. Ganz weich und weiß, ohne jeden Nährstoff. Wer hätte gedacht, dass der überhaupt Samen produzieren kann? Stell dir vor, wie das Kind aussehen wird«, jammerte Valerie. »Wie ein Brötchen.«
»Was ist denn daran so schlimm? Du warst doch ganz scharf darauf zu heiraten.«
»Ja, war ich ja auch. Aber ich war nicht scharf darauf, schwanger zu werden. Ich will Kloughn nicht heiraten. Ich bitte dich! Der Mann wohnt bei seiner Mutter! Und Geld verdient er auch keins.«
»Kloughn ist Anwalt!«
»Ja, nur hat er keine Klienten. Der ist doch verzweifelt auf Kundenfang.«
Valerie hatte recht. Kloughn hatte große Probleme mit seiner Anwaltspraxis, und er hatte sich angewöhnt, den Polizeifunk abzuhören.
»Heutzutage können Frauen frei entscheiden«, sagte
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