15 Gruselstories
erzählen.
Wenn Sie doch nur das Licht ausmachen würden …
Mein Name ist Hugo. Nein, nichts weiter, nur Hugo. So haben sie mich in dem Heim immer genannt. Seitdem ich denken kann, habe ich in diesem Heim gelebt. Die Schwestern waren sehr nett zu mir. Die anderen Kinder haben sich häßlich und gemein verhalten. Keiner wollte mit mir spielen.
Weil ich einen Buckel habe und schiele, müssen Sie wissen. Aber die Schwestern waren nett. Sie nannten mich nicht ›verrückter Hugo‹ und machten sich über mich lustig, wenn ich mir nichts merken konnte. Sie stießen mich nicht in eine Ecke und verprügelten mich. Ihretwegen habe ich nie zu weinen brauchen.
Nein, keine Sorge, ich fühle mich wohl – wirklich. Es ist auch nicht so wichtig, was ich von dem Heim erzählt höbe. Denn alles begann erst, nachdem ich weggelaufen war.
Wissen Sie, die Schwestern sagten mir eines Tages, daß ich langsam für das Heim zu alt geworden wäre. Sie wollten, daß ich mit dem Arzt woanders hingehen sollte. Irgendwo aufs Land. Aber Fred – das war einer von den wenigen Jungen, die mich nicht geschlagen haben – sagte mir, daß ich nicht mit dem Doktor gehen sollte. Er sagte, der Platz auf dem Lande wäre schlecht und der Doktor wäre auch schlecht. Er erzählte mir, daß die Fenster dort vergittert wären und daß der Doktor mich an einen Tisch binden und mir das Gehirn aufschneiden würde. Der Doktor würde mit meinem Gehirn Versuche machen, und ich müßte sterben. Da habe ich gemerkt, daß mich die Schwestern auch für verrückt hielten, obwohl sie es nie laut gesagt haben. Als ich hörte, daß der Doktor am nächsten Tag kommen sollte, bin ich fortgelaufen. Ich habe mich nachts aus dem Zimmer geschlichen und bin über die hohe Mauer geklettert.
Ich weiß nicht, ob Sie hören wollen, was danach geschah. Ich meine die Zeit, als ich unter der Brücke lebte und Zeitungen verkaufte? Und im Winter war es so bitterkalt …
Sadini? Ja, aber er gehört dazu. Ich meine, zum Winter und zur Kälte. Denn ich wurde durch die Kälte ohnmächtig, als ich gerade in der Straße hinter dem Theater war. Und dort fand mich Sadini.
Ich kann mich noch genau an den Schnee in der Straße erinnern. Dieser eisige, eisige Schnee schlug mir ins Gesicht. Ich dachte, ich müßte in der Kälte ersticken; und als ich versank, war ich sicher, daß alles zu Ende wäre.
Als ich wieder aufwachte, befand ich mich an einem warmen Ort im Inneren des Theaters. Es war eine Garderobe. Neben mir stand ein Engel und schaute mich an.
Ich hielt sie wirklich für einen Engel. Ihre langen goldenen Haare sahen wie die Saiten einer Harfe aus. Sie lächelte, als ich meine Hand danach ausstreckte.
»Geht es wieder besser?« fragte sie. »Hier, trinken Sie …«
Ich lag auf einer Couch, und sie hielt meinen Kopf, als sie mir etwas Warmes, Herrliches einflößte.
»Wie bin ich hierhergekommen?« fragte ich. »Bin ich tot?«
»Ich habe es gedacht, als Victor Sie hereingeschleift hat. Aber ich glaube, daß es Ihnen jetzt viel besser geht.«
»Victor?«
»Victor Sadini. Sagen Sie mir nicht, daß Sie noch nie etwas von dem Großen Sadini gehört haben …«
Ich schüttelte den Kopf.
»Er ist Zauberer. Er ist gerade auf der Bühne. Du lieber Gott – ich muß mich ja umziehen.« Sie nahm die Tasse fort und richtete sich auf. »Ruhen Sie sich schön aus, bis ich zurückkomme.«
Ich lächelte sie an. Das Reden fiel mir schwer, weil sich alles irgendwie drehte.
»Wer sind Sie?« flüsterte ich.
»Isobel.«
»Isobel«, wiederholte ich. Es war ein hübscher Name. Ich flüsterte ihn immer wieder, bis ich einschlief.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, bis ich wieder aufwachte, ich meine, bis ich wieder aufwachte und mich gesund fühlte. Zwischendurch muß ich wohl manchmal halbwach gewesen sein, denn ich sah und
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