15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
offenbar.“
„So frage in Allahs Namen weiter! Ich werde dir alle meine Sünden nennen, und du magst sie aufzeichnen. Kannst du schreiben?“
Diese Frage kam ihm unerwartet. Erst nach einigem Besinnen antwortete er:
„Diese Tinte ist freilich zu dick; auch ist die Feder viel zu stumpf. Ich muß mir neue Tinte kochen. Ich höre, daß du ein Fremder bist?“
„Das bin ich.“
„Hast du denn ein Teskereh für neun Piaster?“
Ein Teskereh ist der gewöhnliche Paß, welchen ein jeder Reisende haben muß. An jedem Ort muß visiert werden.
„Ja, ich habe eins“, antwortete ich.
„Zeige es her!“
Er erhielt es; kaum aber hatte er den ersten Blick darauf geworfen, so sagte er:
„Das ist ja noch kein einziges Mal visiert! Warum nicht?“
„Weil ich das Teskereh noch niemand gezeigt habe.“
„So bist du ein Landstreicher, wie es keinen zweiten gibt. Deine Strafe wird immer schwerer!“
„Willst du nicht fragen, warum ich das Teskereh noch nicht vorgezeigt habe?“
„Nun, warum nicht?“
„Weil ich etwas anderes vorzeigen kann, nämlich das hier.“
Ich reichte ihm mein Bu-Djeruldu hin. Das ist ein Empfehlungsschreiben des Pascha an die Behörden seines Paschaliks. Der Kleine machte ein sehr verlegenes Gesicht.
„Nun, willst du das Siegel und die Unterschrift deines Vorgesetzten nicht begrüßen?“ fragte ich.
Er verneigte sich und sagte dann:
„Warum hast du dieses Bu-Djeruldu nicht eher erwähnt?“
„Du warst mit dem Verhör zu schnell fertig. Du hast dich mit deinem Gruß nicht sehr angestrengt. Erhebe dich von deinem Sitz und ziehe deine Schuhe aus, denn ich werde dir noch einen andern Paß zeigen!“
„Um Allahs willen! Hast du etwa einen Ferman?“
„Ja – hier ist er!“
Ich entfaltete den großen Bogen. Der Ferman ist der höchste Paß. Er enthält oben zwischen kalligraphischen Schnörkeln die Titel des Padischah. Es wird den Behörden alle mögliche Rücksicht für die Wünsche des Reisenden anbefohlen. Auch sind allerlei für den Inhaber vorteilhafte Bestimmungen zu lesen, zum Beispiel zu welchem Preis er Pferde, Begleiter und Führer und anderes haben kann.
Der Ferman brachte die gewünschte Wirkung hervor.
Der Kiaja rief:
„Ihr Leute, begrüßt die Würde, das Siegel und die Unterschrift des Beherrschers aller Gläubigen! Von seinen Lippen fließt Wahrheit und Segen, und was er befiehlt, das muß geschehen an allen Orten der Erde.“
Die Verneigungen wollten kein Ende nehmen. Ich steckte indessen die drei Pässe wieder in das Lederetui und fragte dann den Kiaja:
„Was wird der Padischah sagen, wenn ich ihm schreibe, daß ich hier beschimpft worden bin, und daß du mich einen Mörder genannt hast?“
„Sei gnädig, Hazreti! Ich wußte es nicht anders.“
Hazreti heißt Hoheit. Ich konnte zufrieden sein und nahm eine höchst würdevolle Miene an.
„Ich will es verzeihen, obgleich es ein großer Fehler ist, mich einen Verbrecher zu nennen, da ich doch gekommen bin, ein Verbrechen zu entdecken. Gehe einmal hin an den Herd und räume das Holz zur Seite. Du wirst dort etwas finden, was nicht in dieses Haus gehört.“
Er gehorchte augenblicklich. Der Wirt konnte seinen Schreck nicht verbergen; seine Frau hielt es für das allerbeste, zu verschwinden. Sie schlich zur Tür hinaus.
Der Kiaja brachte wirklich die Brieftasche zum Vorschein und gab sie mir. Sie war alt und abgenützt. Als ich sie öffnete, sah ich, daß sie auch ein Notizbuch enthielt. Da gab es eine Menge Bemerkungen und allerlei gereimtes und ungereimtes Zeug – in deutscher Sprache.
Der Inhalt des Notizbuches war wertlos. Vielleicht enthielten die Fächer der Brieftasche besseres. Ich suchte und fand eine alte Karte mit zwei verschlungenen Händen, darunter die Worte: ‚Kein Tod kann uns trennen‘ – ein koupiertes Bahnbillet dritter Klasse von St. Peter nach Nebresina – zwei Blätter aus einem Fremdwörterbuch ein mittels Bürste durchgeklopftes Eichenblatt mit einer aufgemalten Rose und der Unterschrift: ‚So schön bist du!‘ ein sehr abgegriffenes Miniaturheftchen mit dem Titel: ‚Genaue Preisberechnung aller möglichen Skatspiele mit und ohne Farbengrund‘ – das Preisverzeichnis einer Pester Weinhandlung und – endlich etwas Befriedigendes, nämlich in Papier eingeschlagen für achtzig Gulden österreichisches Papiergeld.
Dieses letztere war jedenfalls für den Wirt die Veranlassung gewesen, die sonst für ihn und auch für andere ganz wertlose Tasche
Weitere Kostenlose Bücher