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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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durchgreifen. Darum antwortete ich:
    „In meiner Gegenwart lasse ich keine solche Unmenschlichkeit geschehen. Und gegen dich habe ich die Peitsche gebraucht, weil du die Höflichkeit verletzt hast, welche du mir schuldig bist. Solche Beleidigungen beantworte ich eben nur mit der Peitsche. Ich bin das so gewöhnt.“
    „Was für ein großer Herr bist du denn eigentlich? Wieviele Roßschweife hat dir denn der Großherr geschenkt? Ich werde das gleich einmal untersuchen lassen.“
    Und sich zu den Knechten wendend, fuhr er fort:
    „Ich warne euch, ihn ja nicht fortzulassen. Ich komme gleich wieder!“
    „Du willst den Kiaja holen?“ fragte ich.
    „Ja. Ich übergebe dich den Händen des Kriminalrichters. Er mag dir zeigen, welch schöne Wohnungen es in dem Zuchthaus gibt.“
    „So hole den Kiaja! Ich warte mit Vergnügen, und du brauchst mir diese Leute nicht zu Wächtern zu setzen. Wenn ich gehen wollte, würde ich mich nicht von ihnen halten lassen. Aber ich werde bleiben, um dir zu beweisen, daß du selbst dich auf dem Weg zum Zuchthaus befindest.“
    Er eilte durch Schmutz und Kot zum Tor hinaus. Ich aber öffnete die Tür, hinter welcher das Mädchen verschwunden war. Ich sah einen Aufbewahrungsort für Ackergeräte und ähnliche Werkzeuge. Das Mädchen saß weinend und vor Schmerzen zusammengekauert auf einem Strohhaufen. Ich wollte einige Fragen stellen, fühlte mich aber von hinten ergriffen. Als ich mich umdrehte, sah ich die Frau, welche mich zurückzuzerren versuchte. Sie schien die Mitteilungen des Mädchens zu fürchten.
    „Was hast du hier zu suchen?“ sagte sie. „Heraus mit dir!“
    „Nein, sondern mit dir hinaus!“ herrschte ich sie im grimmigsten Ton an.
    Sie fuhr ganz erschrocken zurück und rief:
    „Bir tamam insan-jejidschi – ein richtiger Menschenfresser!“
    „Ja“, antwortete ich, „ich habe schon sehr viele Männer und Weiber gefressen; du aber bist mir nicht appetitlich genug!“
    Sie war abgeschreckt und versuchte es nicht wieder, mich am Eintreten zu verhindern.
    „Du siehst, daß ich dir helfen will“, sagte ich zu dem Mädchen; „aber du mußt mir auch sagen, warum dein Herr dich so schrecklich züchtigte.“
    „Wenn ich es dir sage, wird er mich noch mehr schlagen lassen“, antwortete sie.
    „Ich werde dafür sorgen, daß er es nicht tun kann. Wer war der Fremde, der so freundlich mit dir gewesen ist?“
    „Er war ein Herr aus – aus – ich habe den Ort vergessen, den er nannte. Er blieb hier über Nacht.“
    „Was war er? Wie hieß er?“
    „Er nannte sich Madi Arnaud und wollte wiederkommen.“
    Das war ja der Name des Mannes, von welchem Schimin mir erzählt hatte.
    „Warum aber ist dein Herr über die Freundlichkeit dieses Mannes so sehr erzürnt?“
    „O, nicht darüber! Er ist zornig wegen der Brieftasche, die ich entdeckt habe.“
    „Wem gehörte sie?“
    „Dem Fremden. Er hatte sie verloren und suchte sie vergeblich. Ich fand sie in der Schlafstube des Herrn und wollte sie dem Fremden wiedergeben; aber der Herr schloß mich ein, bis der andere fort war, und als ich dann sagte, daß die Tasche nicht ihm gehöre, ließ er mich schlagen.“
    „So ist er ein Dieb. Was war in der Tasche?“
    „Ich konnte nicht nachsehen, weil der Herr dazukam.“
    „Weißt du, wo er sie jetzt hat?“
    „Ja, ich habe aufgepaßt. Er hat sie der Frau gegeben, und diese steckte sie hinter das Holz am Herd.“
    Da hörte ich draußen eine quiekende Stimme fragen:
    „Wo ist der Mörder?“
    Ich trat hinaus und sah einen kleinen, spindeldürren Mann, welcher eine ungeheure Pelzmütze auf dem Kopf und ebenso riesige Bastschuhe an den Füßen trug. Gekleidet war er in eine scharlachrote Hose und Weste und in einen blauen Dschiuppeh mit kurzen Ärmeln. Dieses letztere, kaftanähnliche Oberkleid war sehr zerrissen, und Hose und Weste hatten keine Knöpfe mehr; sie wurden von einer einfachen Hanfschnur zusammengehalten.
    Auf der Nase dieses Mannes saß eine riesige Hornbrille mit anderthalb Gläsern, und in den Händen trug er ein Tintenfaß, eine Gänsefeder und mehrere fettbefleckte Papierblätter.
    „Da ist er“, sagte der Wirt, auf mich zeigend.
    Also das wunderliche Männchen war der Gebieter des Dorfes! Er machte auf mich ganz denselben Eindruck wie die Insignien seines Amtes. Ich sah auf den ersten Blick, daß die Gänsefeder einen langen Schnabel aufsperrte, und das Tintenfaß schien einen trostlos eingetrockneten schwarzen Schlamm zu enthalten.
    „Also du bist der

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