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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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habe jetzt keine Zeit, denn wir haben ein Gesangstheater im Garten.“
    „Wer singt denn?“ fragte ich erstaunt.
    „Ein fremder Sänger, welcher heute hier angekommen ist.“
    „Wird er bezahlt?“
    „Nein. Er kam, um über Nacht zu bleiben. Er setzte sich in den Garten und sang; da gingen alle Gäste hinaus. Er singt immer fort, und sie hören immer zu; also müssen wir ihnen den Tabak und den Kaffee in den Garten tragen. Das macht viel Arbeit.“
    „Weißt du, woher der Sänger ist und wie er heißt?“
    „Er ist aus dem Land Austria und hat einen fremden Namen; er sagt, wir sollen in Madi Arnaud nennen. Wenn ihr nicht zu sehr ermüdet seid, könnt ihr auch in den Garten gehen; aber verstehen werdet ihr nichts, denn er singt in einer fremden Sprache. Dennoch klingt es sehr schön, so schön, wie man es noch gar nicht gehört hat. Wir haben ihm die Zither unserer Fräulein Tochter gegeben, und er spielt die Stimmen aller Vögel auf den Saiten.“
    Er führte uns über den Hof hinüber und öffnete zwei nebeneinander befindliche Türen des niedrigen Gebäudes. Man trat aus dem Hof direkt in die Schlafstuben. Er hatte Stroh hineinschaffen lassen und Decken darüber gebreitet, eine Aufmerksamkeit, welche wir jedenfalls nur der Koptscha verdankten.
    Omar und Osco erhielten die eine Stube, während Halef mit mir in der andern schlafen sollte. Unser Führer entfernte sich, und auch die beiden Erstgenannten gingen, um unsere Habseligkeiten aus dem Stall zu holen.
    Während wir zwei uns mit dem Lager beschäftigten, hörten wir die Töne einer Zither erklingen. Unser Schlafgemach hatte der Tür gegenüber eine Fensteröffnung, die mit einem Laden verschlossen war. Licht erhielten wir von einem mit Talg gefüllten Napf, in welchem ein Docht brannte.
    Was wir hörten, war eine ganz richtige Einleitung von acht Takten, und dann vernahm ich zu meiner Überraschung in deutscher Sprache das Schnaderhüpfel:
    „'s Diandl hat Zahnerl
So weiß wia Schnee
Sand alle z'samm eing'setzt,
Drum thoan's ihr not weh.
    's Diandl hat so a goldene
Riegelhaub'n dahaust,
Tragt aba a Barrocka,
Pfui Teufi, mir graust!“
    Ich horchte auf. Es kam mir eine Erinnerung. Sollte es möglich sein? Auch Halef horchte.
    „Sihdi, weißt du, wer so sang?“ fragte er.
    „Nun – wer?“
    „Der Mann in Dschidda, welcher mit bei Malek, dem Scheik der Ateïbeh, war und bei Hanneh, meinem Weib, der Krone der Töchter. Er trug einen mächtigen Säbel und hatte ein weißes Ding um den Hals, das du Vatermörder nanntest.“
    „Ja, du hast recht; dieser Mann sang genauso.“
    „Mei Muatta hat's g'sagt
Zu mein lieab'n Papa,
Daß mei Ahndl ohne mi
Gar koa Großmutta war.“
    So erklang's von unten herauf, und dann fuhr der Sänger fort:
    „Dö Köchina bringa
Dö Gans so gern um,
Denn dö gar groß Verwandtschaft,
war iahna z'dumm.“
    Halef war förmlich elektrisiert. Er sagte:
    „Sihdi, ich gehe hinaus. Ich muß sehen, ob es wirklich der Mann ist, der Hanneh gesehen hat.“
    „Ja, gehen wir.“
    Gar nicht weit von unserer Tür führte eine Pforte durch die Gartenmauer. Als wir sie passiert hatten, sahen wir auf einem Rasenplatz eine Anzahl gleicher Talglampen brennen, deren flackerndes Licht einen Halbkreis von Zuhörern beleuchtete. Diesen gegenüber saß – ja, ich erkannte ihn sogleich – Martin Albani, unser Bekannter aus Dschidda. Er sah uns eintreten, warf uns nur einen kurzen Blick zu, beobachtete uns weiter nicht und sang:
    „Und der Türk und der Ruß
Die Zwoa geh'n mi nix o',
Wann i no mit der Gretl
Koan Kriegshandel ho'!“
    Ich schritt langsam weiter, bis ich hinter ihm stand. Ich wollte ihn ebenso überraschen, wie seine Anwesenheit mich überrascht hatte. Er begann, ohne zu bemerken, daß ich hinter ihm stand, die Strophe:
    „Wenn drob'n auf dö Latschn
Der Auerhahn balzt,
Kriagt mein Diandl a Bussei,
Des grad a so schnalzt.“
    Ich sah, daß er in F-dur griff. Ich bückte mich zu ihm, nahm ihm die Zither aus der Hand und sang in derselben Tonart:
    „Dos Diandl is sauba
Vom Fuaß bis zum Kopf,
Nur am Hals hat's a Binkerl,
Dos hoast ma an Kropf.“
    Er war aufgesprungen und starrte mich an.
    „Was?“ fragte er. „Auch ein Deutscher?“
    „Ja. Grüß Gott, Herr Albani!“
    „Sie kennen mich? Wunder über Wunder!“
    „Und Sie mich nicht? Wollen wir nicht wieder einen Kamelritt machen? Wissen Sie!“
    „Kamelritt? Den habe ich nur ein allereinziges Mal riskiert, und da – Bomben und Granaten, jetzt kommt mir der Verstand!

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