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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ob vielleicht in der Gegend hier eine Frau gesucht wird.“
    Sein Gesicht nahm sofort den Ausdruck der größten Spannung an. Er antwortete:
    „Ja, ja. Die Herrin ist verschwunden. Wir haben sie bereits seit gestern früh gesucht, doch vergeblich.“
    „Wir haben sie gefunden.“
    „Wo? Wo ist sie? Warum kommt sie nicht mit?“
    „Führe mich zu deinem Herrn!“
    „Komm, komm!“
    Er war auf einmal freundlich geworden. Ich stieg ab und folgte ihm. Der Turm war sehr massiv gebaut. Unten gab es keinen Wohnraum. Wir stiegen eine Treppe empor und gelangten in ein kleines Gemach, in welchem ich warten mußte. Ich hörte in der Nebenstube einige laute Ausrufe, dann wurde die Tür aufgerissen, und der Hauptmann erschien auf der Schwelle.
    Er war wohl noch nicht fünfzig Jahre alt und ein schöner Mann. Seine Augen waren sehr gerötet; er hatte geweint.
    „Du hast sie gefunden? Wo ist sie?“ rief er hastig.
    „Erlaube mir erst, dich zu grüßen“, antwortete ich. „Darf ich bei dir eintreten?“
    „Ja, komm herein!“
    Der Raum, in welchen ich jetzt trat, war ziemlich groß. Er hatte drei hohe, schmale, schießschartenähnliche Fenster. An den Wänden lagen Kissen als einziges Meublement, und über ihnen hingen rundum viel Waffen und Tabakspfeifen. Zwei Knaben, die sich umschlungen hielten, saßen in der Ecke. Ich sah es ihnen an, daß auch sie geweint hatten. Der martialische Alte entfernte sich nicht. Er wollte hören, was ich zu sagen hatte.
    „Sei willkommen!“ meinte der Hauptmann. „Also, wo ist meine Frau?“
    „Hier in der Nähe.“
    „Das ist unmöglich. Wir haben sie gesucht allüberall, ohne sie zu finden. Noch jetzt sind alle meine Leute auf den Beinen, um nachzuforschen.“
    Ich wollte natürlich mit der Todesnachricht nicht sogleich herausplatzen; darum fragte ich:
    „War dein Weib krank?“
    „Ja, sie war schon längst krank. Warum fragst du? Ist sie tot? Ich weiß, daß sie nicht mehr lange leben kann, denn der Arzt hat mir gesagt, daß sie schwindsüchtig ist.“
    „Du bist gefaßt, die Wahrheit zu hören?“
    Er erblaßte und wendete sich ab, als ob ihn so die Nachricht weniger hart treffen könnte.
    „Ich bin ein Mann“, sagte er. „Sprich!“
    „Sie ist tot.“
    Da weinten die beiden Knaben laut auf. Der Vater sagte nichts; aber er legte den Kopf gegen die Mauer. Ich sah seine Brust arbeiten; er kämpfte gegen ein Schluchzen, welches er nur mit großer Anstrengung zu unterdrücken vermochte. Erst nach längerer Zeit wendete er sich mir wieder zu und fragte:
    „Wo hast du sie gesehen?“
    „In einem Gebüsch, zehn Minuten von hier.“
    „Willst du uns hinführen?“
    Ehe ich antworten konnte, erklang hinter mir ein Ton, als ob einer erwürgt werden sollte. Ich drehte mich schnell um. Da stand der Alte. Er hatte die Ecke seiner Jacke in den Mund gestopft, um das Weinen nicht hören zu lassen; aber es gelang ihm nicht. Er zog die Jacke zurück und weinte laut – zum Erbarmen.
    Jetzt konnte sich auch der Hauptmann nicht mehr halten; er weinte mit, und die Knaben stimmten ein. Mir wurde so weh. Ich trat zum Fenster und blickte hinaus. Ich sah nichts, denn auch ich hatte Tränen in den Augen.
    Es dauerte lange, bis sich die beiden Männer beruhigten. Der Hauptmann entschuldigte sich:
    „Du darfst nicht über uns lachen, Fremdling! Ich hatte die Mutter meiner Kinder sehr lieb. Und dieser war mein Feldwebel, und als ich die Gnade des Großherrn verlor, hat er mich nicht verlassen, wie die andern alle. Sie war mein Trost in der Einsamkeit. Wie lebe ich ohne sie?“
    Was ich nun zu sagen hatte, durfte vielleicht der alte Feldwebel nicht hören; darum fragte ich ihn:
    „Gibt es eine Tragbahre hier?“
    „Ja, Herr“, antwortete er.
    „Mache sie bereit, und besorge Leute dazu!“
    Er ging, und nun fragte ich den Hauptmann:
    „Du bist natürlich ein Moslem?“
    „Ja. Warum fragst du?“
    „War deine Frau eine Christin?“
    Er richtete hastig einen forschenden Blick auf mich und antwortete:
    „Nein; aber … hast du vielleicht einen Grund, dich danach zu erkundigen?“
    „Ja. Ich glaube, daß sie eine Christin gewesen ist.“
    „Sie war eine Freundin der Ungläubigen. Als ich hierher zog, brauchte ich eine Dienerin. Ich nahm eine alte Frau zu mir. Ich wußte nicht, daß sie eine Christin war; aber später bemerkte ich es, und daß sie mein Weib verführen wollte. Ich jagte sie fort. Seit jener Zeit wurde Hara still und immer stiller; sie weinte zuweilen, und dann wurde sie krank.

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