15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
antworteten die beiden Genannten in der Nähe.
„Sind die Pferde zum Aufbruch bereit?“
„Ja. Wir warteten schon lange.“
„Hinaus aus dem Stall, und fort aus der Stadt!“
Jeder ergriff sein Pferd. Meine Gewehre hingen am Sattel, wie ich tastete. Im Hof stiegen wir auf. Das Tor des Hauses war offen; wir gelangten unangefochten auf die Gasse.
Halef ritt neben mir. Er fragte:
„Wohin geht es? Kennst du den Weg? Wollen wir denn nicht jemand fragen?“
„Nein. Es braucht niemand zu erfahren, welche Richtung wir einschlagen. Wir reiten nach Westen. Nur erst zur Stadt hinaus! Dann werden wir wohl einen Weg finden.“
„Aber müssen wir denn fliehen? Ist das notwendig?“
„Wir reiten fort; das ist auf alle Fälle gut. Willst du das eine Flucht nennen, so tu es. Ich weiß, wo Barud el Amasat steckt. Er ist nicht hier, und wir werden ihn und seine Begleiter aufsuchen.“
Bald lag Menlik hinter uns. Als wir heute von der entgegengesetzten Seite in die Stadt geritten waren, hatte ich nicht geahnt, daß wir sie so schnell wieder verlassen würden.
SECHSTES KAPITEL
Ein Vampir
Als wir Menlik hinter uns hatten, umgab uns dunkle Nacht; dennoch gewahrten wir, daß wir uns auf einem gebahnten Weg befanden. Vor uns hatten wir den Strumafluß, den Strymon der Alten, welcher von Menlik aus südwärts der reichen Ebene von Seres zufließt. Wir ritten auf unbekanntem Boden. Ich wußte nur, daß ich nach Ostromdscha reiten mußte, welcher Ort auch den Namen Strumnitza führt, von dem gleichbenannten Fluß, an welchem er liegt. Da hätten wir nun eigentlich die Richtung nach Petridasch einschlagen müssen; aber ich konnte mir denken, daß man dies vermuten und uns dahin folgen werde. Darum wendete ich mich schon nach kurzer Zeit in einem rechten Winkel dem Norden zu.
„Wohin willst du, Sihdi?“ frage Halef. „Du weichst ja vom Weg ab!“
„Mit gutem Grund. Habt acht. Ich suche einen Pfad, eine Straße, welcher weiter nördlich nach dem Fluß führt, in derselben Richtung, wie derjenige, dem wir bis jetzt gefolgt sind. Ich will unsere Verfolger irreleiten.“
„So müssen wir aufpassen. Es ist sehr dunkel.“
Wir hatten so etwas wie Brachfeld unter uns. Bald merkte ich, daß wir uns wieder auf einem Weg befanden. Links hörte ich das kreischende Räderknarren eines schweren Ochsenwagens. Diese Richtung schlugen wir nun ein. Bald hatten wir den Wagen erreicht. Zwei große Büffel schleppten ihn hinter sich her; der Fuhrmann schritt voran. Am riesigen, in der Mitte hoch geschweiften Joch hing eine Papierlaterne.
„Wohin?“ fragte ich den Fuhrmann.
„Nach Lebnitza“, antwortete er, mit der Hand vorwärts deutend.
Infolgedessen war ich orientiert. Also dieser Weg führte nach Lebnitza, welches am gleichnamigen, sich in die Struma ergießenden Flüßchen liegt.
„Wohin wollt ihr?“ fragte er.
„Nach Mikrova.“
„So nehmt euch in acht. Der Weg ist schlecht. Bist du ein Müller?“
„Gute Nacht!“ sagte ich, ohne seine Frage zu beantworten. Er hatte sehr wohl recht, so zu fragen. Beim Schein seiner Laterne hatte ich bemerkt, daß wir beide, Halef und ich, grad so aussahen, als ob wir in einem Mehlsack gesteckt hätten. Wir hatten noch nicht Zeit gefunden, uns zu reinigen. Wollten wir uns die Kleider nicht verderben, so mußten wir damit warten bis zum Morgen.
Nach einiger Zeit hörte ich Hufschlag vor uns. Wir holten einen einsamen Reiter ein, welcher uns höflich grüßte. Er erkundigte sich:
„Kommt ihr auch von Menlik?“
Diese Frage wurde bejaht.
„Ich will nach Lebnitza. Wohin reitet ihr?“
„Auch dorthin“, antwortete ich.
„Das ist gut. Der Fährmann würde mich nicht übersetzen. Eines einzelnen Mannes wegen tut er dies so spät nicht mehr. Da ihr aber auch hinüber müßt, so wird er sich bereit finden lassen, weil er mehr verdient. Darf ich mich zu euch halten?“
„Ja, wenn es dir gefällt.“
Eigentlich war mir sein Antrag nicht sehr willkommen; da er uns aber als Führer diente, so schlug ich ihm seinen Wunsch nicht ab. Ich hätte ja von der Fähre gar nichts gewußt.
Gesprochen wurde jetzt nichts mehr. Der Mann ritt seitwärts hinter mir und Halef her und beobachtete uns. Er mußte trotz der Dunkelheit unsere Gewehre bemerken, ebenso auch den hellen Schmutzüberzug, und er mochte wohl nicht wissen, für wen er uns zu halten habe. Da wir ihn nicht ansprachen, so schwieg er auch.
Am Fluß angelangt, bog er nach der Fähre ein, welche wir ohne ihn nicht so bald gefunden
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