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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war wohl auch nicht einladender, und so waren die Gefährten mit mir einverstanden, als ich äußerte, die Nacht lieber im Freien zubringen zu wollen, als in einem solchen Haus.
    Vor dem Ort draußen holten wir einen ärmlich gekleideten Mann ein, welcher neben einem zweirädrigen Karren einherging, der von einem kleinen magern Esel gezogen wurde. Ich grüßte den Mann, und fragte, wie weit es bis Radowa sei, und ob es unterwegs ein Einkehrhaus gebe. Zu reiten hatten wir zwei Stunden; ein Han gab es unterwegs nicht. Wir kamen in ein Gespräch; er benahm sich sehr demütig. Es schien ihn Überwindung zu kosten, die Frage hervorzubringen:
    „Du willst in Radowa bleiben, Herr?“
    „Vielleicht halte ich bereits vorher an.“
    „Da müßtest du im Freien übernachten!“
    „Das tut nichts. Der Himmel ist das gesündeste Dach.“
    „Du hast recht. Wär ich nicht arm und ein Christ, so würde ich dir mein Dach anbieten.“
    „Wo wohnst du?“
    „Gar nicht weit von hier; einige Minuten am Bach aufwärts steht meine Hütte.“
    „Und was bist du?“
    „Ziegelstreicher.“
    „Just weil du arm bist und ein Christ, werde ich bei dir bleiben. Ich bin auch ein Christ.“
    „Du, Herr?“ fragte er ebenso erstaunt wie erfreut. „Ich habe dich für einen Moslem gehalten.“
    „Warum?“
    Er antwortete achselzuckend:
    „Die Christen sind hier alle arm.“
    „Auch ich bin nicht reich. Du brauchst dir keine Sorge zu machen. Fleisch haben wir bei uns. Wir werden von dir nichts erbitten, als warmes Wasser zum Kaffee. Hast du Familie?“
    „Ja, eine Frau. Ich hatte auch eine Tochter; aber die ist gestorben.“
    Sein Gesicht nahm dabei einen Ausdruck an, der mich verhinderte, weiter zu fragen.
    Es könnte scheinen, als sei es unrecht von uns gewesen, dem armen Schlucker beschwerlich zu fallen; aber ich habe es so viele Male erlebt, daß grad der Arme glücklich und stolz ist, wenn er an einem besser Gestellten Gastfreundschaft üben darf. Sehr arm allerdings war dieser Mann; das sah man seiner Kleidung an, welche nur aus einem Leinwandkittel und aus einer Hose desselben Stoffes bestand. Kopf und Füße waren bloß.
    Schon nach kurzer Zeit gelangten wir an einen Bach, welcher sich in die Strumnitza ergoß, und folgten dem Tal desselben aufwärts bis zu der Hütte, die neben einer tiefen Lehmgrube stand. Sie hatte nur die Tür- und eine Fensteröffnung, aber einen richtigen Schornstein. Und neben der Tür war eine Ziegelbank errichtet; hinter dem Häuschen befand sich ein kleiner Gemüsegarten, und an denselben schloß sich eine junge Baumpflanzung. Das machte einen guten, freundlichen Eindruck. Seitwärts waren lange Reihen von Ziegeln übereinander geschichtet, um an der Luft zu trocknen, und eben jetzt kam die Frau aus der Lehmgrube. Sie hatte unser Kommen gehört, schien aber über die Anwesenheit so fremder Leute ganz erschrocken zu sein.
    „Komm herbei!“ sagte ihr Mann. „Diese Effendis werden heute bei uns bleiben.“
    „O Himmel! Du scherzt!“ rief sie aus.
    „Nein, ich scherze nicht. Dieser Effendi ist ein Christ. Du wirst ihn gern willkommen heißen.“
    Da erheiterte sich ihr Gesicht.
    „Herr, erlaube, daß ich mich wasche!“ sagte sie. „Ich habe in der Grube gearbeitet.“
    Sie trat an den Bach, wusch sich die Hände, trocknete sie an der Schürze und reichte mir die Rechte dann mit den Worten dar:
    „Wir haben noch niemals so vornehme Gäste bei uns gesehen. Wir sind so arm, und ich weiß nicht, was ich euch bieten soll.“
    „Wir haben, was wir brauchen“, beruhigte ich sie. „Wir wären weiter geritten; aber da ich hörte, daß ihr Christen seid, entschloß ich mich, bei euch zu bleiben.“
    „So tretet ein in unsere Hütte! Wir wissen, welche Ehre uns heute widerfährt.“
    Das klang so offen, herzlich und wohltuend. Auch sie war außerordentlich ärmlich gekleidet, doch sauber, trotz ihrer schmutzigen Arbeit. Rock, Jacke und Schürze, vielfach zerrissen, waren fleißig geflickt. Das sieht man so gern. Die Gesichter beider waren mager und hatten einen Zug, der auch von seelischem Leide sprach. Echt deutsch gesagt: ich war den beiden Leuten sogleich gut.
    Man trat durch die Tür in eine kleine Abteilung, welche zur Aufbewahrung von Handwerkszeug und auch als Stall des Eselchens diente. Von da kam man links durch einen zweiten Eingang in die Wohnstube.
    Dort stand – ja, wirklich – ein richtiger Ofen, aus Ziegelsteinen aufgeführt. Dann gab es einen Tisch, eine Bank und einige Schemel,

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