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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Oben, wo die Bäume begannen, gab es einen kleinen, lichten Platz; das hatte ich bei unserer Ankunft von unten gesehen. Diesen Platz suchte ich jetzt auf. Es war da ein weicher Rasen, auf welchem es sich gewiß ganz prächtig ruhen ließ. Unter einer Platane bemerkte ich etwas Viereckiges, Dunkles. Ich trat näher. Es war ein Grab. Zu Häupten desselben war ein Kreuz an dem Stamm des Baumes befestigt.
    Stand dieses Grab vielleicht in Beziehung zu der so sichtbaren Trauer unserer Wirtsleute? Zu ihren Fasten? Jedenfalls.
    Meine Teilnahme vermehrte sich, doch nahm ich mir vor, nicht zu fragen. Es ist nicht gut, blutende Wunden zu vergrößern oder verharschte aufzureißen. Ich stieg von der Höhe hinab und traf unten in der Nähe des Hauses den Wirt, welcher sich wohl nach mir umgesehen hatte.
    „Herr, du gingst fort“, sagte er. „Ist das aus Zorn gegen mich geschehen?“
    „Nein. Weshalb sollte ich dir zürnen?“
    „Weil ich deine Gaben zurückwies. Du kommst von da oben herab. Hast du ein Grab gesehen?“
    „Ja.“
    „Es ist dasjenige meiner Tochter. Ich möchte dich um etwas sehr Wichtiges fragen. Darf ich?“
    „Ja. Ich habe Zeit.“
    „Ich bitte, komm mit da hinüber, wo die Pferde sind. Es braucht kein anderer zu hören, was ich sage.“
    Wir gingen nach der Weide. Dort setzten wir uns nebeneinander nieder. Es dauerte einige Zeit, ehe er sprach. Es mochte ihm schwer werden, einen passenden Anfang zu finden. Endlich sagte er:
    „Als du hinausgegangen warst, sprachen wir von dir. Ich hörte, daß du ein Schriftsteller bist und Bücher schreibst, daß du alle Gelehrsamkeiten, die es nur gibt, gelernt hast, und daß es keine Frage gibt, die du nicht beantworten kannst.“
    Da hatte der Luftikus, der kleine Hadschi, wieder einmal den Mund voll genommen! Natürlich, je heller er mich malte, desto mehr Licht konnte er auch auf sich fallen lassen. Ich antwortete daher:
    „Das ist nicht wahr. Es gibt nur eine einzige Gelehrsamkeit; eine andere kenne ich nicht.“
    „Welche meinst du?“
    „Sie liegt in dem Gebot der heiligen Schrift: Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes; das andere alles wird euch dann von selbst zufallen.“
    „Da hast du wohl recht. Kennst du die heilige Schrift und ihre Lehren?“
    „Ich habe gesucht und geforscht in ihr, denn es ist das ewige Leben darin; aber der Geist des Menschen ist zu schwach, das göttliche Licht zu ertragen. Ich habe sehr oft wochenlang über ein einziges Wort der Bibel nachgedacht und dabei erkannt, daß ich vermessen handelte. Dann las ich mit dem Herzen und fand das Richtige gleich.“
    „Mit dem Herzen? Wer da auch lesen könnte! Hast du gefunden, was die Bibel von dem Tod und von dem ewigen Leben sagt?“
    „Ja.“
    „Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“
    „Hätte ich diesen Glauben nicht, so wäre es besser, ich wäre nicht geschaffen. Der Glaube an die ewige Seligkeit ist bereits der Anfang der Seligkeit.“
    „So lebt der Geist nach dem Tod fort?“
    „Ganz gewiß.“
    „Und es gibt ein Fegefeuer?“
    „Ja.“
    „Wir sagen, daß es keins gebe. Gibt es Gespenster?“
    „Nein.“
    „O, wer das glauben könnte! Es gibt Seelen, die keine Ruhe finden und als Gespenster wiederkommen. Ich weiß es. Darum bin ich so unglücklich, und darum faste ich mit meinem Weib. Wir denken, daß wir sie dadurch vielleicht erlösen können.“
    „Sie? Wen meinst du?“
    „Die, an deren Grab du warst. Meine Tochter.“
    „Willst du etwa sagen, daß sie als Gespenst umgehe?“
    „Ja.“
    „Unglücklicher! Wer ist so boshaft gewesen, einem Vater glauben zu machen, daß seine Tochter als Gespenst spuke?“
    „Ich weiß es genau!“
    „Hast du sie denn gesehen?“
    „Ich nicht, sondern andere.“
    „Glaube ihnen nicht!“
    „Aber gehört habe ich sie.“
    „Du bist toll! In welcher Gestalt erscheint sie denn?“
    „Als Fledermaus ist sie erschienen“, antwortete er ganz leise, indem er den Mund nahe an mein Ohr brachte. „Man soll nicht davon reden, wenigstens nicht laut. Ich gräme mich zu Tode. Da ich hörte, du seist ein so großer Gelehrter, dachte ich, du könntest mir ein Mittel sagen, ihr die Ruhe zu geben.“
    „Kein Gelehrter kennt ein Mittel, wie du es meinst. Aber glaube mir fest, daß es keine Gespenster gibt, so bist du auf einmal befreit von deinem Kummer!“
    „Das kann ich nicht; das kann ich nicht. Ich höre sie ja! Und stets grad um ihre Todesstunde.“
    „Wann ist das?“
    „Zwei Stunden vor Mitternacht. Dann kommt sie durch

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