15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
ich nun die Servietten nahm und jedem meiner Gefährten eine reichte, machte es mir heimlich Freude, die Blicke zu sehen, welche fragend auf mich gerichtet waren. Sie wußten nicht, was mit den weißen, reinlichen Dingern anzufangen sei. Der kleine Hadschi war der einzige, welcher es riskierte, von mir ausgelacht zu werden. Er fragte:
„Sihdi, was sollen wir mit diesen Tüchern? Es ist doch bereits ein großes Tafeltuch über den Tisch gebreitet.“
„Es sind auch keine Tafeltücher.“
„Maschallah, Gottes Wunder! Sollen es etwa Taschentücher sein? Es ist doch keiner von uns mit einem Schnupfen behaftet!“
„Auch das ist's nicht. Diese Tücher werden so vorgebunden, wie ich es euch zeige, damit man sich nicht mit den Speisen die Kleider beschmutzt.“
„Allah akbar, Gott ist groß! Aber die vornehmen Leute müssen doch rechte Tolpatsche sein, wenn sie besondere Vorhänge brauchen, um die Speisen in den Mund zu bringen und sie nicht auf die Kleider zu schütten. Ich habe gelernt, anständig zu speisen, und meine Jacke wird vergebens lüstern sein, diesen wohlschmeckenden Saft der Melone zu trinken.“
Ich band mir die Serviette absichtlich möglichst ungeschickt vor, und da die anderen es genau so nachmachten, wie ich es ihnen vorgemacht hatte, so saßen wir nun da, wie Kinder, welche von der vortrefflichen Mama den dicken Milchbrei eingestopft bekommen. Das machte mir im stillen großen Spaß.
Während des Essens bemerkte ich, daß die Pferde hinter das Haus geführt wurden. Der Wirt schien es als echter Muselmann für höflich zu halten, uns ohne Zeugen speisen zu lassen. Er trat erst wieder ein, als wir fertig waren, und gab den beiden Burschen den Befehl, abzutragen und uns ein Waschbecken zu bringen. Auch dieses war von weißem Steingut, und nun kamen auch die Handtücher zu Ehren.
Während wir uns die Hände reinigten, flüsterte mir Halef zu:
„Sihdi, hast du keine Angst?“
„Wovor?“
„Welch eine Zeche wird das geben! Dieses gute Essen, das kühle Bier, Messer, Gabeln und Löffel, ein Tafeltuch, ein Waschbecken, Handtücher und gar noch Brustvorhänge von weißer Leinwand! Dazu hat die Tscheleba alles selbst gekocht! Ich glaube, dieser brave Wirt wird grad so viel von uns verlangen, wie die Rechnung des Polizeipräfekten betragen hat.“
„Mache dir keine Sorge, ich bin überzeugt, daß wir hier gar nichts zu bezahlen brauchen.“
„Meinst du, daß der Wirt auf diesen prächtigen, menschenfreundlichen Gedanken kommen wird?“
„Ganz gewiß. Wir werden nur den Knechten ein Bakschisch zu geben haben.“
„Wenn er so verständig ist, so will ich auch von ganzem Herzen heute, morgen und auch übermorgen vor dem Einschlafen den Propheten bitten, sich bei dem Engel des Todes für diesen guten Wirt zu verwenden.“
„Warum nur bis übermorgen?“
„Dreimal ist genug. Bis dahin lernen wir wohl wieder andere Leute kennen, welche uns gut bewirten und also meiner Fürbitte würdig sind.“
Der kleine Hadschi lächelte still und listig vor sich hin, wie es so seine Art und Weise war, wenn er sich einmal als Pfiffikus gezeigt hatte.
Nach der Reinigung lud der Wirt uns ein, uns wieder an den Tisch zu setzen. Er wollte den ziemlich geleerten Bierkrug abermals füllen und bat uns, vorher auszutrinken. Ich aber lehnte es ab und erwiderte:
„Du würdest mich und wohl auch dich erfreuen, wenn du mir einmal das Schränkchen zeigtest, aus welchem dir das Geld gestohlen wurde. Willst du mir das zu Gefallen tun?“
„Ja. Komm und folge mir!“
Halef ging mit. Der ihm angeborene Spürsinn erlaubte es ihm nicht, so wie die beiden andern zurückzubleiben.
Der Wirt brauchte nur zwei der dünnen, geflochtenen Zwischenwände ein wenig zurückzuschieben, so standen wir schon vor der Tür seiner Schlafstube. Sie war unverschlossen. Ich überzeugte mich sogleich, daß ein Riegel vorhanden war, mit dessen Hilfe man von innen einem unwillkommenen Öffnen vorbeugen konnte.
Betten gab es nicht. Rund um die Wände lief ein sogenanntes Serir, ein niedriges Lattengestell, auf welchem Polster lagen. Auf diesen schliefen die Hausbewohner, im Sommer gar nicht und im Winter von ihren Decken oder Pelzen zugedeckt. Die Kleider abzulegen, fiel ihnen natürlich gar nicht ein.
Diese Unsitte des Morgenländers, dieser Mangel aller Bettücher und dieses sehr seltene Wechseln der Leibwäsche disponieren nicht nur zu vielen Krankheiten, sondern sind auch der Grund von dem massenhaften Vorhandensein jener zwei Arten
Weitere Kostenlose Bücher