15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
sicher dabei eingeschlafen. Nein, wer handeln will, der handle schnell! Dieser Mensch blieb vor uns liegen, als ob er der Urgroßvater des Großherrn sei, den alle gläubigen und ungläubigen Untertanen ehren müssen. Dieses Vergnügen habe ich ihm nun gestört.“
„Ohne jedoch an die Folgen zu denken.“
„Welche Folgen sollen kommen? Wenn er uns bei dem Präfekten verklagt, so kann es sehr leicht geschehen, daß auch dieser meine Peitsche zu kosten bekommt.“
„Halef, nun ist's genug! Der Mann hatte eine Züchtigung verdient; das ist wahr. Du aber mußtest warten, was ich tun würde. Wir wissen nicht, welchen Gefahren wir überhaupt entgegengehen, und da war es eine ganz unbegreifliche Unklugheit, uns noch überdies mit der Polizei zu verfeinden. Ich habe den Mann mit Spott behandelt. Das hättest auch du tun sollen. Statt dessen hast du ihn geschlagen. Ich habe es dir nicht befohlen, darum werden mich die Folgen wenig kümmern. Mich geht die Sache gar nichts an. Sieh du zu, wie du den Kopf aus dem Wasser bringst!“
Ich stieg auf und ritt davon. Die andern folgten kleinlaut. Am tiefsten ließ Halef den Kopf hängen. Es dämmerte immer heller in ihm die Ahnung, daß er uns einen sehr großen Schaden angestiftet haben könne.
Der Türke, welcher die meiste Ursache hatte, zornig zu sein, ritt schweigend an meiner Seite. Erst nach einer Weile erkundigte er sich:
„Effendi, können die Folgen wirklich schlimm für den Hadschi werden?“
„Natürlich!“
„Aber du wirst ihm beistehen?“
„Nicht im mindesten!“ antwortete ich, da Halef hörte, was ich sagte. „Er hat sich des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der Körperverletzung gegen einen kaiserlichen Polizeibeamten schuldig gemacht. Ich kann ihn nicht retten, wenn sie ihn ergreifen.“
„So mag er fliehen!“
„Er mag tun oder lassen, was ihm beliebt. Er hat ohne meine Einwilligung gehandelt, wie ein kleiner Knabe, der unfähig ist, sich die Folgen seiner Tat zu überlegen. Sie mögen nun über ihn kommen. Ich kann ihm nicht helfen.“
Es wurde mir nicht leicht, diese harten Worte auszusprechen. Sie taten mir vielleicht noch weher als dem kleinen Hadschi selbst; aber ich hielt es für notwendig, ihm einmal einen solchen Verweis zu erteilen.
Er war mir treu durch alle Gefahren gefolgt, und durch welche Gefahren! Wie oft hatte er sein Leben mit mir gewagt! Er hatte die Heimat verlassen, und was noch mehr war, auch Hanneh, die Blume der Frauen. Mein ganzes Herz war voll von Dankbarkeit gegen ihn. Aber er begann jetzt, unvorsichtig zu werden.
Daß uns so manches schlimme Wagnis gelungen war; daß wir das Glück gehabt hatten, uns stets selbst aus den bösesten Klemmen herauszuarbeiten, das hatte sein Selbstvertrauen aufgebläht. Er glich einem kleinen, tapferen Hündchen, welches den Mut hat, selbst dem stärksten Leonberger an den Hals zu springen. Ein einziger Biß des Riesen aber würde es töten. Und grad jetzt näherten wir uns dem gefährlichen Bereich der Skipetaren. Da war Vorsicht doppelt nötig.
Im stillen freute ich mich darüber, daß er den faulen Polizisten so wacker durchgebläut hatte, und ich war, was sich von selbst verstand, entschlossen, die Folgen von ihm abzulenken. Aber ich hielt es für geraten, seiner Tatenlust und Tateneiligkeit einen kleinen Dämpfer aufzusetzen.
ACHTES KAPITEL
Ein Heiliger
Nach einiger Zeit erreichten wir die Straße von Kusturlu und lenkten nun wieder nach rechts ein. Wir näherten uns der Strumnitza und ritten zwischen Tabaks- und Baumwollfeldern hin.
Bald sahen wir einen Berg vor uns aufsteigen, an dessen Seite die Häuser der Stadt zu erkennen waren. Oben auf seiner Kuppe erblickten wir dunkles Grün, unter welchem das Gemäuer der Ruine hervorlugte.
„Das ist Ostromdscha“, erklärte der Türke.
„Auch Strumnitza genannt, nach dem Fluß, der nahe an der Stadt vorüberfließt“, fügte ich bei, meine ganze Geographie-Kenntnis erschöpfend.
Da kam Halef an meine Seite. Der Anblick der Stadt ließ ihn an die Folgen seiner voreiligen Handlung denken.
„Sihdi!“ begann er.
Ich tat, als ob ich es nicht hörte.
„Sihdi!“
Ich blickte unverwandten Auges nach der Stadt.
„Hörst du mich nicht – oder willst du mich nicht hören?“
„Ich höre dich.“
„Meinst du etwa, daß ich fliehen soll?“
„Nein.“
„Ich täte es auch nicht. Lieber würde ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen. Oder meinst du, daß ich mich von einem Präfekten hier einsperren lassen
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