15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
soll?“
„Ganz nach deinem Belieben!“
„Lieber möchte ich ihm eine Kugel durch den Kopf jagen!“
„Und würdest dann erst recht eingesperrt.“
„Was denkst du, was geschehen wird?“
„Ich weiß es nicht. Man muß es abwarten.“
„Ja, warten wir es ab! Aber wirst du mich unter deinen Schutz nehmen?“
„Ich denke, ich stehe unter dem deinigen. Du nennst dich ja meinen Freund und Beschützer!“
„Sihdi, vergib das mir. Du allein bist doch der Beschützer gewesen.“
„Nein. Halef. Ich habe sehr oft unter deinem Schutz gestanden. Das werde ich dir nicht vergessen, und so wollen wir sehen, ob die Leute hier es wagen werden, sich an dem berühmten Hadschi Halef Omar zu vergreifen.“
„Hamdullillah! Allah sei Dank! Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen, der so groß und so schwer war, wie der Berg da vorn, an welchem die Stadt liegt. Alles kann ich ertragen, nur das nicht, daß mein Effendi böse auf mich ist. Zürnst du noch?“
„Nein.“
„So gib mir deine Hand.“
„Hier hast du sie.“
Der Blick voll inniger Liebe und Treue, fast möchte ich sagen Hundetreue, welchen er mir dabei zaghaft zuwarf, drang mir tief zu Herzen. Was für ein herrliches Gut ist es doch um das Glück, einen solchen treuen Freund zu besitzen!
Wir näherten uns der Stadt immer mehr. Kurz bevor wir die ersten Häuser – richtiger Hütten – erreichten, saß auf einem Stein ein Bettler am Weg, ein Jammerbild des Elends und der Verkommenheit.
Eigentlich ist es falsch, zu sagen, er saß am Weg, denn er saß nicht. Er schien gar nicht richtig sitzen zu können. Er lag mit zusammengekrümmtem Rücken halb auf der Seite, neben sich die beiden Krücken. Um seine nackten Füße waren Lumpen gewickelt und mit Fäden festgebunden. Seine einzige Hülle bestand in einem alten Ding, halb Tuch und halb Mantel, welches er sich um die Hüften gewunden hatte. In dieses Tuch schien er die Gaben zu stecken, welche ihm gereicht wurden: Brot, Früchte und anderes, denn es bildete eine übermäßig dicke Wulst um seinen Leib. Dieser Leib war hager und schmutzig braungelb. Man sah die Rippen deutlich liegen, und die Schlüsselbeine traten hervor, wie bei einem Skelett. Der Kopf war bedeckt von wirren, struppigen Haaren, welche wohl jahrelang keinen Kamm gefühlt hatten. Das Gesicht war aufgedunsen, die Züge besaßen aber dennoch einen scharfen Schnitt. Die Haut hatte eine bläulichrote Farbe, als ob sie erfroren sei. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen.
Das Gesicht befremdete mich. Es lag ein Widerspruch in demselben, der mir gleich beim ersten Blick auffiel; doch vermochte ich nicht zu sagen, worin dieser Widerspruch bestehe. Der Ausdruck desselben war derjenige des Blödsinnes, der Gefühllosigkeit.
Das alles sah ich aber nicht gleich jetzt, sondern ich bemerkte es erst später, als wir vor dem Bettler halten blieben, um ihm eine Gabe zu reichen. Ich betrachtete ihn sehr genau, weil ich von dem Türken erfahren hatte, wer er sei.
Als wir uns nämlich noch fern befanden und ihn sitzen sahen, sagte der Wirt:
„Das ist Busra, der Krüppel, von dem ich dir erzählt habe.“
„Derjenige, welcher bei deinem Nachbar war, als du glaubtest, der Heilige sei zu ihm gegangen?“
„Ja, Effendi.“
„Ist er denn der Gabe bedürftig?“
„Ja. Er kann nicht arbeiten, denn er hat kein Rückenmark mehr.“
„So könnte er wohl gar nicht leben?“
„Davon verstehe ich nichts. Man sagt so. Er geht an zwei Krücken und zieht die Beine hinterher. Er kann sie nicht bewegen. Dazu ist er ein Blödsinniger, der nur wenige Worte zu reden versteht. Jeder gibt ihm etwas. Wenn du mehrere Tage hier bleibst, wirst du ihn öfter sehen.“
„Hat er Verwandte?“
„Nein.“
„Wo wohnt er?“
„Nirgends. Er ißt da, wo er etwas erhält, und schläft da, wo er vor Müdigkeit niedersinkt. Er ist ein elender Mensch, dem Allah in jenem Leben zulegen wird, was er ihm hier versagt hat.“
Der Krüppel saß mit dem Rücken gegen uns. Als er den Huftritt unserer Pferde hörte, richtete er sich mühsam mittels seiner Krücken empor und wendete sich uns zu. Jetzt sah ich sein ausdrucksloses, blödes Gesicht. Sein Auge schien gar keinen Blick zu haben. Es war tot und nichtssagend. Der Mann mochte vielleicht vierzig Jahre alt sein, doch war es schwer, ihm ein bestimmtes Alter zuzusprechen.
Ich fühlte Mitleid mit dem Elenden und hatte keine Ahnung, welch eine hervorragende und feindselige Rolle er mir gegenüber noch spielen sollte. Wir
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