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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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dienen.
    Jetzt, in diesem Augenblick, waren nur drei Personen anwesend, und zwar weibliche: zwei Frauen und ein kleines Mädchen von ungefähr acht Jahren.
    Die eine der Frauen war ziemlich gut, wenn auch unsauber gekleidet und besaß eine ansehnliche Körperfülle. Sie war es, deren keifende Fistelstimme wir gehört hatten. Sie stand mit dem Rücken gegen uns gerichtet, und da sie noch immer laut schrie, so bemerkte sie unser Kommen nicht.
    Zu ihren Füßen lagen einige Lappen und ein alter Topf, dessen Henkel abgebrochen war. Der Topf war umgestürzt, und ihm entquoll langsam eine dicke, graubraune Masse, deren Aussehen keineswegs appetitlich war.
    Die andere Frau saß auf einem der Steine. Sie war nur mit einem sehr ärmlichen dunklen Rock bekleidet und hatte ein vorsündflutliches Tuch um den Oberkörper geschlungen, welches auch die Arme und Hände bedeckte. Sie sah aber sonst leidlich sauber aus, sauberer noch als die andere, welche sich ihrer Kleidung nach in besseren Verhältnissen zu befinden schien. Ihr Gesicht war hager. Die Not hatte demselben ihre traurigen Runen eingeritzt. Das Kind an ihrer Seite war nur in ein baumwollenes Hemd gehüllt, welches gut gewaschen und sogar gebleicht zu sein schien.
    Die keifende Dicke sprudelte ihre Zornesworte so schnell heraus, daß man ihnen gar nicht zu folgen vermochte. Nur die doppelt stark betonten Hauptausdrücke waren deutlich zu unterscheiden. Kein Lastträger hätte sich kräftigerer Schimpfreden zu bedienen vermocht. Dabei schlug sie mit den Fäusten bald auf die andere Frau, bald auf das weinende Kind ein.
    Diese andere Frau machte bei unserem Anblick eine Bewegung, durch welche die Xantippe veranlaßt wurde, sich nach uns umzudrehen.
    O Himmel! Welch ein Antlitz erblickte ich! Die Visage eines tätowierten Südseeinsulaners ist das reine Schönheitsideal dagegen. Der Grund davon war, daß sich das Weib das Gesicht mit einer dicken, roten Masse eingerieben hatte. Sie sah schrecklich aus. Als sie uns erblickte, trat sie von der andern zurück und hemmte den rauschenden Strom ihrer Rede.
    „Friede sei mit euch!“ grüßte ich.
    „In Ewigkeit, Amen!“ antwortete sie.
    Diese Worte ließen mich vermuten, daß sie eine Bulgarin griechischen Bekenntnisses sei.
    „Ist das die Quelle, an welcher man Heilung findet?“
    „Ja, Herr, diese Quelle ist berühmt im ganzen Land und noch weit darüber hinaus.“
    An diese Auskunft knüpfte sie eine Aufzählung von hundert Krankheiten, gegen welche man hier Hilfe finden könne, und von ebensovielen Wundern, die an diesem Ort geschehen sein sollten.
    Sie entwickelte dabei ein Rednertalent, welches mich geradezu verblüffte. Die Worte sprühten ihr nur so vom Mund, und ich fand auch nicht eine einzige Lücke von dem tausendsten Teil einer Sekunde, welche ich hätte benutzen können, um mit einer Frage in diese Bresche einzudringen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als sie einfach aussprechen zu lassen, was aber erst nach längerer Zeit geschah, da sie mich nach unzähligen Krankheiten, Gebrechen und Fehlern fragte, welche mich hergetrieben haben konnten. Eine Antwort aber wartete sie durchaus nicht ab.
    „O Allah! Maschallah! Allah w' Allah!“ rief Hadschi Halef Omar einmal über das andere Mal, wobei er die Hände zusammenschlug.
    Die Frau schien anzunehmen, daß diese Interjektionen nicht dem Fluß ihrer Rede, sondern den aufgezählten Vorzügen der heißen Quelle gewidmet seien, und fühlte sich dadurch nur veranlaßt, diese Aufzählung in wahrhaft überwältigender Sprachfertigkeit fortzusetzen. Um sie zum Schweigen zu bringen, berührte ich die Weichen meines Rappen leise mit den Sporen. Er war das nicht gewohnt und ging mit allen vieren in die Luft.
    Die Rednerin hielt inne, sprang zurück und stieß einen Angstschrei aus. Das benützte ich, um nun auch zu Worte zu kommen.
    „Wie heißt du?“ fragte ich sie.
    „Nohuda. Ich bin in Debrinitz geboren, wie mein Vater ebenso dort geboren war. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt. Die Großeltern waren drüben über dem Fluß – – –“
    Ich ließ den Rappen abermals steigen, denn ich befürchtete nicht ohne Grund, daß sie mit mir die Stufenleiter ihrer Verwandtschaft bis jenseits des alten Methusalem hinaufsteigen werde. Sie hielt glücklicherweise inne, und ich besaß die ungeheure Geistesgegenwart, dies zu der Erklärung zu benutzen:
    „Liebe Nohuda, ich muß dir sagen, daß ich wegen eines Kopfleidens hierher gekommen bin. Ich fühle

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