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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ebenso kurz wie sonderbar; aber er brachte eine bessere und schnellere Wirkung hervor, als durch eine lange Rede erzielt worden wäre.
    Die drei Geistergläubigen blickten sich an, schüttelten die Köpfe, schauten dann auf die Krähe, und endlich sagte der Türke zu mir:
    „Effendi, welches ist denn deine Meinung? Kann ein Geist Ungeziefer haben?“
    „Nein.“
    „Aber es ist doch ein böser.“
    „Welches ist der allerböseste Geist?“
    „Der Satan.“
    „Richtig! Nun sage mir, ob der Prophet oder einer der Nachfolger desselben gelehrt hat, daß der Satan von Läusen geplagt werde.“
    „Das steht freilich nirgends geschrieben. Und die Insekten würden gewiß auch verbrennen, wenn sie mit dem Teufel in die Hölle kämen.“
    „Das hast du mit großem Scharfsinn entdeckt. Nun beantworte dir deine Frage selber.“
    Dieser an sich so lächerliche Vorgang war für uns von größerer Bedeutung, als ich denken konnte. Die Bewohner der hinter uns liegenden Hütten hatten alles gesehen, und erst später erfuhr ich, daß sich die Kunde davon wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet hatte.
    Ein Vogel des vermeintlichen Heiligen war erschossen worden, von einem Fremden, der dann ganz heil davongegangen sei. Das war unerhört.
    Wer den Aberglauben jener Gegenden nicht kennt, der hält so etwas kaum für glaublich. Dazu kam der Respekt, in den sich der Mübarek zu setzen gewußt hatte. Was zu seiner Person in Beziehung stand, das war für andere geradezu unberührbar.
    Halefs Beweis hatte gewirkt. Die Frauen und auch der Türke fühlten sich beruhigt. Die Pflanzensammlerin hatte auch gar nicht viel Zeit, über den Tod der Krähe nachzudenken. Die Worte, welche der Alte zu ihr gesprochen, waren ihr viel, viel wichtiger. Sie – als griechische Christin – stand unter dem Einfluß ihres Popen, und man muß die Popen jenseits des Balkans kennen, um zu wissen, was das zu bedeuten hat.
    Diese geistlichen Herren rekrutieren sich aus den untersten Schichten der Gesellschaft und genießen einen Unterricht, welcher nicht mehr als alles zu wünschen übrig läßt. Wie soll es da mit denjenigen stehen, deren Seelen solchen Leuten anvertraut sind!
    Es war der armen, unglücklichen Frau anzusehen, daß sie von der Kunde, ihr Mann schmore in der Hölle und erwarte auch sie und ihre Kinder dort, ganz niedergeschmettert war.
    Der gute Halef legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte in tröstendem Ton:
    „Nebatja, gräme dich nicht! Dein Mann ist im Himmel.“
    Sie blickte ihn forschend an.
    „Glaubst du es etwa nicht?“ fragte er.
    „Woher könntest du das wissen?“
    „Ich habe ihn gesehen.“
    „Du?“
    „Ja“, nickte er ernsthaft.
    „Wann?“
    „Heute nacht. Der Engel Allahs kam und entführte mich aus dieser Welt. Er trug mich über die Himmel empor, so daß ich sie alle erblicken konnte. Da sah ich deinen Mann im dritten Himmel sitzen – – –“
    „Kennst du ihn denn?“ fragte sie hastig.
    Der Kleine wurde durch diese Frage nicht im mindesten in Verlegenheit gebracht. Er antwortete ohne Bedenken:
    „Nein; aber der Engel sagte zu mir: ‚Schau da hinab! Dort sitzt der Mann der armen Nebatja, welche du morgen in Ostromdscha zu Gesicht bekommen wirst.‘ Daher weiß ich, wer der Selige war. Dieser blickte auch auf, denn er hatte die Worte des Engels vernommen, und bat mich, dich zu grüßen. An seiner Seite waren die Plätze für dich und deine Kinder.“
    Der Kleine brachte das sehr ernsthaft vor. Es kam ihm nicht in den Sinn, mit dem Heiligsten Scherz zu treiben. Es war seine Absicht, die Geplagte zu beruhigen, und er fing dies nach seiner eigenen Weise an. Die Frau sah ihm noch immer kopfschüttelnd in das Gesicht.
    „Ist das wahr, was du erzählst?“ fragte sie nun.
    „Wenigstens ebenso wahr wie die Geschichte des Mübarek.“
    „Aber wie kannst du in den Himmel schauen? Du bist doch kein Christ!“
    „Ist etwa der Mübarek ein Christ?“
    Das leuchtete ihr ein.
    „Dieser alte Halunke“, fuhr Halef energisch fort, „weiß im Himmel auch nicht besser Bescheid als ich und jeder andere. Vielleicht ist er in der Hölle besser zu Hause. Ich wenigstens bin ganz überzeugt davon. Wenn du aber meinst, daß nur ein Christ hier zu Wort kommen darf, so wende dich an diesen Effendi und frage ihn. Er wird dir alle Auskunft geben können.“
    Er deutete auf mich, und die Frau sah mich fragend an.
    „Bete für deinen Mann“, sagte ich ihr. „Das ist deine Christenpflicht. Der Mübarek aber hat dich

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