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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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belogen; denn es kommt kein Engel, um einen Sterblichen in den Himmel zu führen und dann wieder zur Erde herabzubringen. Die heilige Schrift lehrt, daß Gott in einem Licht wohnt, zu welchem kein irdisches Geschöpf kommen kann. Ich werde dich wiedersehen und mit dir von dieser Angelegenheit sprechen. Nun aber wollen wir uns lieber mit deiner Krankheit beschäftigen. Du wirst hier an dieser Quelle vergeblich Heilung suchen. Seit wann benutzest du dieses Wasser?“
    „Schon über ein Jahr.“
    „Ist dein Leiden geringer geworden?“
    „Nein, Effendi.“
    „So siehst du, daß ich recht habe. Diese Quelle heilt deine Leiden nicht.“
    „Mein Gott! Was soll da aus mir und den Kindern werden? Ich kann nicht arbeiten, und wir hungern bereits seit längerer Zeit. Nun wird auch die einzige Hoffnung, die ich hatte und die ich auf dieses Wasser setzte, zu Schanden.“
    Sie begann bitterlich zu weinen.
    „Weine nicht, Nebatja!“ tröstete ich sie. „Ich werde dir ein besseres Mittel sagen.“
    „Bist du denn ein Hekim?“
    „Ja, in dieser Krankheit sogar ein Hekim Baschi. Hast du noch niemals von den fremden Ärzten gehört, welche aus dem Westen kommen?“
    „Schon oft, Sie sollen sehr weise Leute sein und alle, alle Krankheiten heilen können.“
    „Nun, ich komme aus dem Westen und werde deine Krankheit heilen. Wie hast du denn dieses Wasser hier angewendet?“
    „Ich habe vom Morgen bis zum Abend hier gesessen und Umschläge gemacht.“
    „Damit hast du das Übel nur verschlimmert. Was ist's denn mit dem Knaben, welchen der Mübarek erwähnte?“
    „Weil ich nicht selbst mehr kann, habe ich ihn ausgesandt, um Pflanzen zu suchen. Die besten Kräuter stehen oben auf dem Berg: Feldkümmel, Gänsekraut und wilde Minze und viele andere. Aber der Mübarek duldet es nicht, daß man sie holt. Er hat den Knaben einmal fortgejagt, und als uns die Not trieb, es doch noch einmal zu wagen, warf er ihn vom Felsen herab, so daß er den Arm brach.“
    „Und du hast ihn verklagt?“
    „Nein. Ich bin nur zur Polizei gegangen und habe um eine Unterstützung gebeten. Die drei andern Kinder sind zu klein. Sie kennen auch die Pflanzen nicht. Ich kann sie nicht aussenden, um Kräuter zu sammeln.“
    „Du bist aber wohl abgewiesen worden?“
    „Ja. Der Zabtieh Muschiri sagte, ich solle nur arbeiten.“
    „Hast du nicht gesagt, daß du nicht arbeiten kannst?“
    „Ja, aber sie haben mich durch den Khawassen hinausführen lassen und mir mit der Bastonade gedroht, wenn ich wiederkäme.“
    „Eine Frau und Bastonade! Aber sorge dich nicht. Du sollst die Unterstützung erhalten.“
    „Effendi, könntest du das bewirken?“
    „Ich hoffe es.“
    „So wollte ich dir dankbar sein und täglich für dich beten.“
    Sie wollte meine Hand ergreifen, doch war ihr die dazu nötige Armbewegung zu schmerzlich.
    „Sage mir zunächst, wo du wohnst.“
    „Gleich hier nebenan, im zweiten Haus.“
    „Das ist bequem. Führe mich einmal hin, ich will deine Stube sehen. Meine Gefährten werden unterdessen warten.“
    Mein Schuß nach der Krähe war gehört worden und hatte eine Anzahl Neugieriger herbeigelockt, welche in einiger Entfernung standen und nun erstaunt sahen, daß ich mich mit der Frau in deren Wohnung gab.
    Wer die Schmutz- und Lumpenwirtschaft Halbasiens kennt, wird wohl glauben, daß ich in meiner Kleidung diesen Leuten wie ein Fürst erscheinen mußte.
    „Ich wohne nicht allein, Effendi“, erklärte mir die Frau. „Es wohnt noch eine Familie mit mir zusammen.“
    Ich ahnte, was nun kommen werde, und diese Ahnung erfüllte sich. Ich sah keine Stube, sondern ein Loch ohne Diele und Mauerbewurf, so feucht, daß Tropfen an den Wänden hingen, alles mit Moder überzogen war und ein entsetzlicher Geruch in diesem Raum herrschte.
    Und in dieser Höhle wälzten sich und lagen gegen zehn Kinder übereinander. Zwei kleine Löcher, welche als Fenster dienten, ließen nicht mehr Licht herein, als nötig war, um die Gesichter zu erkennen.
    Dazu kamen stinkende Decken und Kleider, unaussprechliche Gerätschaften, kurz und gut, es war entsetzlich.
    In der einen Ecke saß eine alte Frau und kaute an einem hellen Gegenstand herum. Bei näherer Betrachtung sah ich, daß es ein Stück von einem rohen Kürbis war.
    Nicht weit von ihr kauerte ein Knabe, welcher den Arm in der Binde trug. Es war der Sohn der Nebatja. Ich nahm ihn mit hinaus an die Haustür, um besser sehen zu können, und entfernte die Binde, um den Verband zu untersuchen. Ich

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