15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
Mann ist keineswegs damit einverstanden. Er wünscht im Gegenteil, daß ich lebhafter sein solle.“
„So erkläre ihm die Geschichte von dem Sack, und er wird dir sofort beistimmen. Aber ich sehe, daß die Salbe deines Gesichtes trocken geworden ist. Du wirst eiligst neue auflegen müssen.“
„Gleich, sogleich! Ich danke dir!“
„Aber sprich nicht dabei! Das Antlitz darf sich nicht bewegen.“
„Kein Wort werde ich sagen.“
Sie ergriff den Topf und schöpfte zu dem Kleisterrest, welcher sich noch in demselben befand, den gelbroten Niederschlag der Quelle. Nachdem sie beides durch eifriges Rühren mit der bloßen Hand auf das innigste vermischt hatte, kratzte sie sich die dürre Schminke aus dem Gesicht und bestrich sich dasselbe mit der neuen Auflage des ‚Schlammes der Schönheit‘.
Das war ein Gaudium für meine Begleiter. Am drolligsten aber war der Umstand gewesen, daß wir beide zuletzt nur in leisem Ton miteinander gesprochen hatten, natürlich, um meinen armen Kopf zu schonen.
Erst jetzt fand ich Zeit, die andere Frau genauer zu betrachten. Bei dem Anblick ihrer eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen entfuhr mir die Frage:
„Adsch semin – hast du Hunger?“
Sie antwortete nicht. Aber in ihren Augen war zu lesen, daß ich das Richtige getroffen hatte.
„Chasta sen – und du bist krank?“
Jetzt nickte sie.
„Woran leidest du denn?“
„Herr, ich habe das Reißen in den Armen.“
„Hilft diese Quelle dagegen?“
„Ja, sie hilft ja gegen alles.“
„Wie hast du dir dieses Übel zugezogen?“
„Dadurch, daß ich Pflanzensammlerin bin. Ich ernähre mich und meine Kinder damit, Kräuter zu sammeln, welche ich an den Apotheker verkaufe. Da bin ich bei jeder Witterung im Wald und auf dem Feld, oft vom frühesten Morgen bis in die späteste Nacht hinein. Da habe ich mich oft erkältet, und nun liegt es mir in den Armen, daß ich sie nur unter großen Schmerzen bewegen kann.“
„Hast du keinen Arzt gefragt?“
„Ich werde überall abgewiesen, weil ich arm bin.“
„Aber der Apotheker, welchem du die Pflanzen verkauftest, konnte dir doch vielleicht ein Mittel geben?“
„Er hat es getan. Aber es half nichts. Darüber ist er so zornig geworden, daß ich ihm nicht wieder kommen darf.“
„Das ist schlimm. Aber es gibt ja noch einen hier, welcher die verschiedensten Krankheiten heilt, den alten Mübarek. Bist du denn nicht zu ihm gegangen?“
„Auch das habe ich getan; aber er hat mich im höchsten Zorn abgewiesen, weil er mich haßt.“
„Er haßt dich? Hast du ihn beleidigt?“
„Niemals.“
„So hat er doch gar keinen Grund, dir so unfreundlich gesinnt zu sein.“
„Er meint aber, einen Grund zu haben, da ich zuweilen – – – seht, da kommt er!“
Sie deutete nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren.
Von der Stelle aus, an welcher wir uns befanden, konnte man den ganzen Weg übersehen, der uns nach der Stadt geführt hatte. Ich hatte bereits während des Gespräches denselben überblickt und auch nach dem Stein geschaut, auf welchem der gelähmte Bettler gesessen hatte. Dieser aber war verschwunden, während ich dafür eine lange Gestalt bemerkte, welche aus der Richtung dieses Steines langsam und in sehr würdevoller Haltung herbeigeschritten kam.
Wo war der Bettler hin? Die ganze Gegend lag frei vor uns. Man mußte ihn unbedingt sehen, mochte er sich nun hingewendet haben, wohin er wollte, nach rechts oder links oder gradaus in die Ebene. Und im Fall er nach der Stadt gegangen wäre, hätten wir ihn erst recht bemerken müssen, zumal ein Krüppel mit zwei Krücken nur langsam vorwärts kommen kann. Aber er war fort, spurlos verschwunden.
Unweit des Steines, auf welchem er gesessen hatte, war eine Baumwollpflanzung angelegt. Die Pflanzen waren kaum vier Fuß hoch. Hinter ihnen konnte der Bettler nicht stecken, außer wenn er sich niedergelegt hätte. Das aber durfte er nicht tun, weil er nicht imstande war, sich allein wieder aufzurichten. Dieses plötzliche Verschwinden war mir unbegreiflich.
Indessen war der erwähnte Mann langsam näher gekommen. Er hielt den Kopf gesenkt, als ob er seine Augen nur an der Erde haften habe. Als er sich unweit der ersten Häuser befand, folgte er dem Weg nicht so wie wir, bis zu den Hütten, sondern er bog gleich zur Seite ein, grad auf uns zu. Da ich nicht annahm, daß er nur von dem Weg abkomme, weil er so tief in Gedanken versunken sei, mußte ich annehmen, daß er mit Absicht sich uns
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