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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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seinen häuslichen Herd verlassen habe. Ich empfand einen unwiderstehlichen Geistesdrang, mich der letzteren Ansicht zuzuneigen. Und das tat ich dann mit Vehemenz.
    Jetzt die weitere Frage: War die betreffende Person ein Reiter oder Fußgänger gewesen – natürlich ein ‚in‘ hinzugefügt, falls es sich um ein Femininum handeln sollte.
    Weder am Sattel, noch auch sonst am Tier war ein Merkmal zu finden, auf Grund dessen man diese Frage hätte beantworten können. Eins aber stand fest: War der Maulesel geritten worden, so hatte er den Reiter höchst wahrscheinlich abgeworfen. Wo befand sich dieser letztere?
    Ich mußte zurückreiten und nach einer Spur suchen. Das tat ich ohne Zögern. Vorher hatte ich nicht achtgegeben! Jetzt aber sah ich deutlich die Spuren meines Pferdes und auch diejenigen des Maulesels. Letztere Spuren führten nach einer Weile von der geraden Richtung ab, rechts hinüber nach dem Dorngestrüpp zu, aus welchem vorher, als der Sahaf sich noch bei mir befunden hatte, der dumpfe Ruf erklungen war. Jetzt hörte ich ihn wieder. Es klang, wie bereits bemerkt, wie der Ruf eines Eingemauerten. Ich eilte näher und sprang vor dem Gestrüpp ab. Es bestand aus lauter Brombeer- und Himbeerranken und schien undurchdringlich zu sein.
    „Jardym, jardym, imdad – Hilfe, Hilfe, Hilfe!“ hörte ich es jetzt mit ziemlicher Deutlichkeit.
    „Wer ist da?“ fragte ich.
    „Tschileka, Tschileka!“ antwortete es.
    Das war eine weibliche Stimme. Auch der Name, welcher ‚Erdbeere‘ bedeutet, sagte mir, daß es sich um ein weibliches Wesen handle.
    „Gleich, gleich!“ antwortete ich.
    Ich lief am Saum des Gesträuches hin und fand die Stelle, an welcher der ‚Einbruch‘ geschehen war. Da gab es doch wenigstens einigermaßen Bahn. Ich drang hindurch, indem ich mein Messer zu Hilfe nahm, und befand mich dann am Rande einer kessel- oder vielmehr trichterartigen Vertiefung, welche aber nicht, wie ich erwartet hatte, mit Dornwerk, sondern mit – – – Teppichen und ähnlichen Dingen angefüllt war.
    Hier auf dieser Seite war der Maulesel hinein und drüben wieder hinausgegangen. Unten aber saß auf der weichen Unterlage ein Frauenzimmer, wie so wohlbeleibt ich in meinem ganzen Leben noch niemand gesehen hatte.
    „Hilfe, Hilfe!“ rief die Frau immerfort.
    Kaum aber erblickte sie mich, so verbarg sie, laut aufkreischend, ihr Gesicht in einem Teppichzipfel.
    „Was ist denn hier geschehen?“ fragte ich.
    „Hascha! Geri tschek! Jaschmak-üm, jaschmak-üm – Gott behüte! Geh' fort! Mein Schleier! Mein Schleier!“
    Sie rief um Hilfe und jagte mich doch wieder fort, weil sie keinen Gesichtsschleier hatte. Als ich mich genauer umblickte, sah ich die Fetzen desselben an den Dornen hängen.
    „Burada; al mendil-im – hier; nimm mein Taschentuch!“ rief ich ihr zu.
    Ich zog es hervor, beschwerte es mit einigen kleinen Steinchen und warf es ihr zu.
    „Tschewir, büs, bütün, tamam bütün – drehe dich hinum, ganz und gar, vollständig!“
    Ich gehorchte ihrem Befehl.
    „Tekrar etrafynda – wieder herum!“ kommandierte sie nach einem Weilchen.
    Als ich mich ihr nun zudrehte, hatte sie ihr Gesicht mit meinem Taschentuch verhüllt, sehr unnötigerweise, denn ich hatte ihr dunkelrotes Gesicht mit den Backentaschenwangen doch bereits genau genug gesehen.
    Wäre sie ein Mann gewesen und beim verflossenen Leipziger Turnfest erschienen, so hätte sie bei der bekannten ‚dicken Riege‘ schon durch ihr bloßes Erscheinen jede Konkurrenz und Rivalität aus dem Feld geschlagen. Da sie aber eine Dame war und ich mich gern für ‚genteel‘ halten lasse, so sei von einer näheren Personalbeschreibung hiermit abgesehen.
    Der Orientale mißt die Schönheit seines Weibes nach dem Lehrsatz: Radius mal Radius mal π, multipliziert mit dem Quadrat des ganzen Durchmessers, gibt, in Millimetern ausgedrückt, die Kubikwurzel des Schönheitsgrades. Nach diesem Theorem enthielt die von Dornen eingefaßte Vertiefung einen Schatz von ungeheurem Wert.
    Tschileka war in einen kurzärmeligen blauen Mantel gekleidet, welcher aber durch die Dornen ein wenig gelitten hatte. Diese kurzen Ärmel erlaubten, ein Paar sehr lange, fuchsfeuerrote Handschuhe zu sehen, welche von ausgezeichneter Arbeit waren, da sie sich ohne das leiseste Fältchen an Hand und Arm anschlossen.
    Es war ihr, ich weiß nicht wie, gelungen, ein Loch in das Taschentuch zu konstruieren. Durch dieses Monokel betrachtete sie mich eine Weile. Dann sagte sie

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