15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
Dennoch aber fürchtet er mich. Er hat auf mich geschossen und besitzt auch in anderer Beziehung kein gutes Gewissen. Laß den Färber nicht wissen, wohin ich gegangen bin!“
„Aber wenn du nicht bald zurückkehrst, so komme ich dir nach!“
„Gut, das will ich gelten lassen.“
Ich ging hinaus und machte mich im stillen davon. Ich hütete mich sehr wohl, den früheren Weg einzuschlagen. Ich konnte da leicht eine mir nicht passende Begegnung haben. Darum ritt ich nicht nach Süd, sondern nach West, um von der nach Kabatsch liegenden Seite in den Wald zu kommen.
Den nördlichen Rand des Waldes zur linken Hand, galoppierte ich über das Weideland dahin und erreichte bei der Schnelligkeit meines Rih sehr bald die Stelle, wo sich der Wald südlich nach Kabatsch zog. Da erblickte ich ganz draußen, seitwärts des genannten Ortes, eine Reitergruppe, welche sich nicht gar zu eilig fortzubewegen schien. Diese Leute hatten bei einem einsamen Haus angehalten und nun ihren Ritt wieder fortgesetzt.
Ich ahnte, daß ich die Gesuchten vor mir hatte. Es konnte etwas über eine englische Meile bis dorthin sein.
„Kawam, kawam – schnell, schnell!“ rief ich meinem Rappen zu.
Rih verstand das Wort genau; es bedurfte keines weiteren Mittels, um ihn zur größeren Eile anzutreiben. Es war eine Freude so dahin zu fliegen. Und doch hätte ich, im Sattel sitzend, Champagner eingießen und trinken können, ohne einen Tropfen zu verschütten.
In einigen Minuten hatte ich das Haus erreicht und stieg ab. Ich hatte mich so gehalten, daß das Gebäude zwischen mir und der Reitergruppe geblieben, ich war also nicht bemerkt worden.
Ein in den mittleren Jahren stehendes Weib saß, Melonen schneidend, vor der Tür.
„Mesalcheer – guten Abend“, grüßte ich in arabischer Sprache.
Sie blickte mich fragend an. Ich wiederholte den Gruß türkisch, und nun verstand sie mich. Sie dankte freundlich.
„Willst du mich nicht von deiner Wassermelone kosten lassen? – Ich habe Durst“, bat ich.
„Sehr gern, Herr.“
Sie schnitt mir ein tüchtiges Stück ab und gab es mir. Als sie bemerkte, mit welchem Behagen ich in die Gabe biß, lächelte sie befriedigt und sagte:
„Die habe ich selbst gepflanzt. Vor wenigen Minuten mußte ich eine ganze Frucht an andere verschneiden. Die baten nicht so freundlich wie du.“
„Aber sie haben dich belohnt?“
„Ich verlange keinen Lohn, obgleich ich sehr arm bin und nur wenig Früchte gezogen habe. Aber sie haben mich noch dazu beraubt.“
„Die Undankbaren! Was nahmen sie dir?“
„Mein Kopftuch. Einer von ihnen war verwundet. Den verbanden sie damit.“
„Kanntest du sie denn nicht?“
„Saban, der Bettler, war dabei, der im Wald wohnt, und Murad, sein Kumpan.“
„Weißt du nicht, wohin sie ritten?“
„Sie wollten hinüber nach Usu-Dere. Dort wohnt ein Verwandter Sabans, welcher ein Wundarzt und ein Wunderdoktor ist. Bei ihm soll der Kranke untergebracht werden.“
„Haben sie nicht davon gesprochen, auf welche Weise der Mann verwundet wurde?“
„Er ist vom Baum gefallen, mit dem Gesicht auf einen Stein. Er hat sich sämtliche Zähne zerschlagen.“
„Der arme Kerl!“
„O, er ist nicht zu bedauern! Ich kenne ihn, nur weiß ich seinen Namen nicht. – Er ist der Verführer unserer Männer!“
„Auch des deinigen?“
„Nein. Ich bin Witwe; mein Mann ist tot.“
„Hast du Kinder?“
„Drei. Das kleinste liegt am Scharlachfieber krank; die beiden größeren sind ans Wasser gegangen, um Blutegel zu fangen, welche ich an den Wunderdoktor verkaufe. Er bezahlt einen Para für zehn Stück.“
Die arme Frau! Welch eine elende Bezahlung! Ich zog fünf Piaster aus der Tasche und gab sie ihr.
„Hier, kaufe deinem Kind Saft zu einem kühlenden Trank.“
Das war eine Kleinigkeit, für sie aber schon eine wirkliche Summe. Sie blickte mich ungläubig an und fragte:
„Das willst du mir schenken?“
„Ja.“
„Herr, bist du so sehr reich?“
„Ja.“
„Dann ist die Güte deines Herzens so groß, wie dein Vermögen. Allah möge dir – – –“
Weiter hörte ich nichts, denn ich war in den Sattel gesprungen und ritt davon, um zurückzukehren. Wie manches Elend könnte gelindert, wie manche Not gehoben oder doch gemildert werden, wenn – – – ah, wer doch nur so recht geben könnte!
Ich hatte genug erfahren, um zu wissen, daß für mich nichts zu befürchten war.
Als ich in Dschnibaschlü hinter dem Haus unseres dicken Gastfreundes und Brautvaters
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