150 - Aufbruch in die Silberwelt
Kind und Kegel, und Händler machten schwunghafte Geschäfte mit Süßigkeiten und Talismanen, die das Böse fernhalten sollten.«
Ich blickte an McGoohan vorbei und fragte mich, ob es dieses Gasthaus damals auch schon gegeben hatte. Ausgesehen hätte es danach. Das einzige Zugeständnis an die elektronikbeherrschte Gegenwart war ein alter Fernsehapparat, der in der Ecke stand.
»Die letzte Hexe, die sie dort draußen aufhängten, war Xandia Scwarcz«, berichtete McGoohan. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß viele unschuldige Frauen der Hexerei bezichtigt und zum Tod verurteilt wurden. Es ist nicht schwierig, einem armen Menschen auf der Folterbank ein Geständnis abzupressen. Den möchte ich sehen, der nicht alles zugibt, wenn der Schmerz ihn halb wahnsinnig macht. Die richtigen Hexen erwischte man kaum, denn die waren vorsichtig und wußten sich zu schützen oder rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Xandia jedoch war eine Ausnahme. Sie floh nicht. Vielleicht fand sie es unter ihrer Würde, fortzulaufen. Vielleicht dachte sie, ihre Häscher könnten ihr nichts anhaben. Wie auch immer, als die Männer kamen, um sie zu holen, war sie da. Man machte ihr den Prozeß. Eine Farce, denn jede Frau, die der Hexerei beschuldigt wurde, war so gut wie verurteilt. Nun, bei Xandia traf alles zu. Sie hatte mit dem Satan gebuhlt und Leid über ihre Mitmenschen gebracht. Die Kühe hatten Blut statt Milch gegeben, und viele Säuglinge waren an einer geheimnisvollen Krankheit gestorben. Als man sie aufhängte, soll sich die Sonne verfinstert haben, und der Teufel soll erschienen sein. Manche Zuschauer wollen sogar gesehen haben, daß der Teufel an Xandias Stelle am Baum hing, doch das kann sich nur um eine Sinnestäuschung gehandelt haben. Der Satan holte sich die Seele seiner Geliebten – und Xandia blieb am Galgenbaum hängen. Zur Abschreckung. Man nahm sie nicht ab.«
Mein Mund war trocken geworden. Ich trank vom Bier.
»Da hing sie nun – Tag für Tag, Nacht für Nacht«, erzählte McGoohan weiter. »Eine Woche, einen Monat. Es stellte sich heraus, daß niemand den Mut hatte, sie vom Baum herunterzuholen, deshalb ließ man sie hängen. In den Nächten wollen die Dorfbewohner sie singen und lachen gehört haben. Sie soll obszöne Worte und wüste Drohungen geschrien haben. Man machte bald einen sehr großen Bogen um den Galgenbaum, und nachts wagte sich niemand mehr aus dem Haus. Alle fürchteten sich vor der toten Hexe, die anscheinend ewig weiterlebte. Ein Jahr verging, doch Xandia Scwarcz verweste nicht. Sie sah immer gleich aus, war eine häßliche alte Frau mit selbst im Tod noch bösen Zügen, und sie setzte ihre Untaten fort. Die Kühe gaben weiterhin Blut statt Milch, und die Menschen stöhnten unter mysteriösen Krankheiten, gegen die es kein Mittel gab. Es hatte nichts genützt, die Hexe aufzuhängen. Ihr Geist lebte weiter und knechtete das ganze Dorf. Viele Jahre gingen ins Land, und Xandia hing wie am Tag ihrer Hinrichtung an der Eiche. Da sich immer noch niemand fand, die Hexe abzuschneiden, entschloß man sich, den Baum zu fällen und an Ort und Stelle zu verbrennen. So geschah es, und man arbeitete auch die dicken Wurzeln der Eiche aus dem Boden. Nichts sollte an ihn oder Xandia erinnern. Das Feuer fraß alles auf – auch die Hexe – und man dachte, der Spuk wäre nun endlich vorbei. Eine Zeitlang war auch tatsächlich Ruhe, doch in der ersten Vollmondnacht, die danach kam…«
McGoohan sprach nicht weiter. Er griff nach seinem Glas.
Wir sahen ihm zu, wie er trank. Jetzt genoß er den Wein nicht mehr, er schüttete ihn in seine Gurgel, als wollte er sich so schnell wie möglich betrinken.
»Was war in der Vollmondnacht?« fragte Cnahl.
»Da war der Galgenbaum auf einmal wieder da, und die Hexe hing an ihm«, erzählte der Wirt heiser. »Sie lachte kreischend und schrie, das Dorf würde sie nie los. Sie würde Crickford immer wieder heimsuchen.«
»Hat sie das getan?« fragte Sammeh gespannt.
»O ja, sie hielt ihr schreckliches Versprechen. Die furchtbare Heimsuchung ging über viele Generationen hinweg. Wer in Crickford geboren wurde, kam mit der Angst zur Welt. Die Furcht vor Xandia Scwarcz wurde uns allen in die Wiege gelegt. Wir wissen nicht, wen ihre Rache als nächstes treffen und dahinraffen wird. Die Angst vor Xandia umschließt Crickford wie ein unsichtbarer Ring. Wir können nicht raus, sind Gefangene einer bösen Macht, von der wir uns nicht befreien können. Wir müssen mit Xandia
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