150 - Larry Brents Totentanz
durchsichtig wurde. Ihre
Hand, ihr Gesicht - nur noch ein nebelhafter Schemen, eine geisterhafte
Erscheinung, die sich auflöste.
In der Minute, da sie endgültig die Schwelle vom Leben zum Tod
überschritt, hatte sie noch mal ihren Geist ausgesandt und Kontakt mit ihm, dem
Fremden, gesucht.
Der schicksalsentscheidende Augenblick war vorüber.
Larry atmete tief durch und leuchtete mit seiner Taschenlampe noch
mal die Stelle aus, wo der Geist der Ermordeten erschienen war.
Trauer erfüllte ihn.
Da riß das donnernde, scheppernde Geräusch ihn in die Wirklichkeit
zurück.
Der Schienenstrang, in dessen Mitte er stand, begann zu zittern.
Es krachte. Es barst. Die primitive Brettertür platzte
auseinander, und riesige Holzspäne schwirrten durch die Luft.
Larrys Kopf flog herum.
Er sah die mit Bauschutt gefüllte Lore mit ohrenbetäubendem Tosen
auf sich zurasen.
Aus, grellte es durch sein Hirn, mit einem Blick die tödliche
Gefahr erfassend.
Hier gab es keine Möglichkeit, sich mit einem Sprung zur Seite zu
retten.
Links und rechts ragte die Tunnelwand neben ihm auf. Kein
Randstreifen lief dort entlang, auf den er hätte springen können.
Wie ein vorsintflutliches Ungetüm tauchte das vollbeladene Gefährt
vor ihm auf und nahm das ganze Blickfeld ein.
Im Bruchteil einer Zehntelsekunde ging alles über die Bühne.
●
»Ja, nun können Sie zu ihr. Aber bitte nur fünf Minuten.« Der Mann
in dem weißen Kittel hieß Dr. Latskin und war verantwortlich für Janette
O’Caseys Gesundheitszustand. »Sie ist jetzt bei Bewußtsein, fühlt sich
allerdings sehr schwach .«
Iwan Kunaritschew erhob sich und bedankte sich. »Ich werde Ihre
Anweisungen berücksichtigen, Doc .«
Eine Schwester stand an der Tür des betreffenden Krankenzimmers
und öffnete sie, als der breitschultrige Russe mit dem roten Bart darauf zukam.
Janette O’Casey lag allein im Zimmer, in dem eine abgeschirmte
Tischlampe brannte.
Die junge Fernsehjournalistin wirkte bleich in ihrem Bett. Arme
und Beine waren mit dicken Mullbinden umwickelt; es roch nach antiseptischen
Mitteln.
Janettes Augen bewegten sich nur, als der Russe hereinkam.
»Ich bin Iwan Kunaritschew«, sagte der Besucher leise und
lächelte.
Janette O’Casey nickte. »Ich weiß.
Man hat es mir gesagt, damit ich nicht erschrecke .«
»Oooh«, entgegnete der Russe erstaunt und griff an seinen Bart.
»Doch nicht deshalb? Sehe ich so schlimm aus? Ich weiß, ich müßte ihn wieder
mal stutzen. Ich wirke wie der wilde Mann aus dem dunklen Wald, wie ?«
Janette O’Casey verzog das Gesicht. Sie lächelte. Offenbar hatte
sie keine Schmerzen und stand unter Medikamenteneinwirkung.
»Wenn ich nicht wüßte, daß Sie irgend etwas mit der Polizei zu tun
haben, dann hatte ich Angst .«
Iwan rückte einen Stuhl neben ihr Bett und nahm Platz.
»Als man Sie fand, machte Ihnen ein Schock zu schaffen, was zu
begreifen ist, wenn man berücksichtigt, was Sie durchgemacht haben, Miß
O’Casey. Sie äußerten etwas, was einem Kollegen von mir aufgefallen ist. Was
haben Sie dort oben im Sky erlebt, unmittelbar vor Ausbruch des Feuers? Ich
möchte Sie nicht quälen und Ihre Kräfte über Gebühr strapazieren, aber Ihre
Aussage kann von entscheidender Bedeutung für unsere Untersuchungen sein. Es
sieht ganz so aus, als ob Sie die einzige Überlebende sind. Was ist dort oben
geschehen, Miß O’Casey? Was haben Sie gesehen - und vor allem: wie war das mit
Ihrer Bemerkung? Sie sagten, daß Sie sich - selbst gesehen hätten ?«
Janette O’Casey schluckte und schloß die Augen. Ihr Gesicht wirkte
mit einem Mal wieder angespannt. Die Tatsache, daß sie über das furchtbare
Geschehen sprechen sollte, das noch so frisch in ihrer
Erinnerung nachwirkte, machte ihr zu schaffen.
Iwan konnte ihr diese Belastung nicht ersparen, denn Janette
O’Caseys Beobachtungen waren von ausschlaggebender Bedeutung.
Sie begann stockend mit leiser Stimme und steigerte sich dann
immer mehr.
Sie berichtete gerafft. Man merkte ihr die journalistische
Ausbildung an. Iwan hatte schon geglaubt, vieles in wenige Worte kleiden zu
können. Wie knapp man sich fassen konnte, davon bekam er nun ein Beispiel.
Er erfuhr von der Begegnung mit Bill Morgan, der wie eine Bombe
geplatzt war, weil er sich selbst begegnete, und er ließ die
Fernsehjournalistin auch ausführen, was für Gedanken sie sich darüber gemacht
hatte. Es tat ihr offensichtlich gut, über diese Dinge zu sprechen. Das war wie
ein Ventil.
»Wie denken
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