1502 - Am Abgrund zur Hölle
Wohlstand war es zum großen Teil vorbei, und das hatte sich auf die Infrastruktur niedergeschlagen. Ob sich die wenigen verbliebenen Zechen noch halten konnten, wusste niemand zu sagen.
Die meisten Menschen hier hofften es jedoch.
Die Häuser, in denen Menschen lebten, waren mit Kaminen ausgestattet. Bei dieser unangenehmen, feuchtkalten Witterung brannte das Holz, und aus den Öffnungen der oft stummelartig wirkenden Schornsteine quoll der graue Rauch, der sich von der Farbe des Himmels kaum unterschied.
Hügel prägten das Bild dieser Landschaft. Es gab nicht besonders viele Orte. Touristen verliefen sich erst recht nicht in diese Gegend, denn bis zur Küste war es einfach zu weit.
Wir fuhren sehr langsam. Suko saß hinter dem Lenkrad, und wir fielen auch auf, denn Fremde verirrten sich selten hierher. Die Blicke der Menschen waren nicht feindlich. In ihnen lagen mehr Misstrauen und Skepsis.
Wir wollten nach einem Plan vorgehen. Als Erstes wollten wir mit dem Mann sprechen, der die Leiche mit seinem Bagger aus der Erde geholt hatte. Der Mann hieß Earl Digger, arbeitete ein paar Meilen weiter auf einem Gelände, das ein großer Investor erschließen wollte. Die wüste Landschaft des Kohlenabbaugebiets mit seinen Abraumhalden sollte ein anderes Gesicht bekommen.
Wo Earl Digger wohnte, würde sich leicht herausfinden lassen. Da reichte eine knappe Frage, und wir machten es wie so oft, wenn wir in ein fremdes Dorf fuhren. Wir fuhren in den Mittelpunkt des Ortes und stellten den Wagen dort ab.
Hier gab es sogar eine Kirche. Der Turm war nicht zu übersehen gewesen, und an Parkplätzen gab es keinen Mangel. Wir stiegen aus und erlebten die klamme Kälte. Dagegen schützten unsere Lederjacken, deren Kragen wir hochstellten.
Der Wind trieb graue Wolkenformationen über den Himmel. Die Bäume trugen noch kein neues Laub. Die Umgebung wirkte wie eingeschlafen.
Zwei Kinder näherten sich unserem Wagen und schauten ihn interessiert an. Eine Frau lief hinter ihnen her, um sie mit scharfen Worten zurückzubefehlen.
Ich sprach die Frau an, die stehen blieb und mir misstrauisch ins Gesicht schaute.
»Was wollen Sie von mir?«
»Nur eine Antwort. Es geht uns um Earl Digger. Wir möchten gern wissen, wo er wohnt.«
Uns traf ein scharfer Blick. Dann hörten wir die Frage: »Geht es um die eine Sache da?«
»Möglich.«
»Wenn ja, dann wird es Zeit, dass man sich darum kümmert.« Sie hob den rechten Zeigefinger und schwenkte ihn von einer Seite zur anderen.
»Ich sage Ihnen, dass der liebe Gott die Bäume nicht in den Himmel wachsen lässt. Denken Sie daran!«
»Natürlich, Madam. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Das ist ganz einfach. Diese Erde trägt etwas Besonderes in sich. Sie hat den Menschen Brot gegeben. Sie hat sie ernährt. Sie war mit etwas Gutem gefüllt. Wir alle haben davon leben können, aber nun soll hier vieles verändert werden. Sie tragen die Hügel ab. Sie wollen etwas anderes bauen, das hier nicht hingehört, und das lässt sich die Erde nicht gefallen, glauben Sie mir. Man soll die alten Kräfte nicht unterschätzen. Vor allen Dingen Menschen wie Sie, die nichts von dem erlebt haben, sind damit gemeint. Sie kommen aus der Großstadt und können sich nicht in unsere Lage hineinversetzen. Daran sollten Sie denken.«
Ich nickte. »Daran denken wir ganz bestimmt«, sagte ich, »aber dieser Leichnam hat nun mal in dem Hügel gelegen, und wie es aussah, ist er nicht so richtig tot gewesen.«
»Das haben Sie toll gesagt.«
»Stimmt es denn nicht?«
Die ältere Frau dachte nach. Sie musste sich nicht mehr um ihre Enkel kümmern. Mit den beiden Jungen beschäftigte sich Suko, denn er erklärte ihnen das GPS-System.
»Wissen Sie, Mister, hier denken wir anders, und viele von uns meinen, dass es nicht nur diese eine Welt gibt. Da gibt es noch eine zweite, eine verborgene. Die aber ist von den Menschen vergessen worden, was ich schade finde.«
»Meinen Sie, dass der Tote in diese zweite Welt gehörte?«
Sie winkte ab. »Ich meine gar nichts. Es ist wohl Ihr Job, das aufzuklären. Nur denken Sie an meine Worte. Nicht nur das Sichtbare zählt.« Sie wollte ihre beiden Enkel einsammeln, aber dagegen hatte ich etwas, denn mir fehlte noch die eigentliche Auskunft.
»Ja, natürlich«, sagte sie. »Passen Sie auf. Hier gibt es nur wenige Straßennamen. Die Diggers wohnen am Ortsrand. Dem Haus gegenüber steht ein alter Fahnenmast, den können Sie gar nicht übersehen.«
»Danke.«
Die Frau rief ihre
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