1502 - Am Abgrund zur Hölle
hineingestoßen, der sie auch weiterhin festhielt.
Es kam der Zeitpunkt, da hatte sie keine Tränen mehr. Da spürte sie auch die Kälte, die allmählich in ihre immer steifer werdenden Glieder kroch.
Zudem konnte sie nicht mehr lange in dieser unnatürlichen Haltung bleiben. Als sie den ersten Versuch unternahm, wieder auf die Beine zu kommen, da spürte sie die Schmerzen der starr gewordenen Muskeln, die sich durch ihren gesamten Körper zogen.
Zum Glück befand sich das Geländer in der Nähe. Daran zog sie sich hoch. Sie hielt sich daran fest und kam sich vor wie eine Schattengestalt, die im Dunkeln ihre Zuflucht gefunden hatte.
Sie wartete auf nichts. Ja, es war das große Nichts, das sich in ihr Inneres eingeschlichen hatte. Selbst der Gedanke an ihren verschwundenen Mann war in den Hintergrund gedrängt worden. Doch er kehrte zurück, und wieder erschien die Szene des Kidnappings vor ihren Augen.
Wo steckte Earl jetzt?
Den Schrei der Banshee hatte sie nicht vergessen. Besonders bei dem Gedanken an ihren Mann klang er in ihrem Ohr nach. Es hatte sich wohl alles erfüllt, was man einer Banshee nachsagte. Dass sie den Tod brachte, wenn sie einmal auftauchte.
Was sollte sie tun?
Losgehen und Earl suchen?
Beinahe hätte sie laut aufgelacht. Nein, das war nicht möglich. Sie hätte nicht gewusst, wo sie hätte anfangen sollen. Die andere Macht war stärker, viel stärker.
Draußen lauerte auch weiterhin die Dunkelheit. Kate konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war. Es war auch nicht mehr wichtig für sie. Es gab nichts, was noch wichtig gewesen wäre, abgesehen von einer Ausnahme - und die hieß Earl.
Er war nicht mehr da.
Er war geholt worden. Er hatte zu viel gesehen, und nun wollte man sich an ihm rächen.
Diese Gedanken bewirkten einen Wirbel in ihrem Kopf, den sie noch nie erlebt hatte und sie völlig durcheinander brachte. Es gab bei ihr keinen Plan. Sie musste sich treiben lassen, aber es gab nicht mal eine Richtung. Ihr kam jetzt in den Sinn, dass sie die Entführung auf keinen Fall für sich behalten durfte.
Du musst etwas tun, und zwar die Polizei alarmieren! Die Beamten mussten endlich etwas tun und durften sich nicht so verhalten wie bei der Entdeckung des seltsamen Toten.
Aber wer hatte ihren Mann entführt?
Vor der Küchentür kam ihr der Gedanke. Kate fühlte sich momentan stark genug, um sich die Szene noch mal vor Augen zu holen. Obwohl sie so nahe dabei gestanden hatte, war sie als Zeugin nicht zu gebrauchen. Sie hatte nichts Konkretes gesehen, nur schattenhafte Gestalten, die alles blitzschnell hinter sich gebracht hatten.
Sie wollte in die Küche, sich einen starken Kaffee kochen, der ihr vielleicht half.
Zwei Schritte weit war sie gekommen und befand sich bereits kurz hinter der Schwelle, als sie die Schläge gegen die Haustür hörte.
Für einen Moment erstarrte Kate!
Wer konnte das sein?
Nachbarn, die zu ihr kommen wollten, um zu hören, was ihnen widerfahren war?
Das Klopfen hörte nicht auf. Es würde erst verstummen, wenn sie die Tür öffnete.
Und das tat sie an allen Gliedern zitternd.
Sie sah die Gestalt und erstickte fast an ihrem Schock. Vor ihr stand Earl Digger.
Nein, doch, nein…
Kate war völlig durcheinander und brachte trotzdem eine Frage hervor: »Wo kommst du her. Earl?«
Die Antwort erfolgte prompt. »Aus der Hölle. Ich komme aus der Hölle…«
***
Wir hatten es geschafft.
Letterston lasen wir auf dem Ortsschild, und wenige Augenblicke später rollten wir bereits in den Ort hinein. Es war eine Ansiedlung, die zur Zeit des großen Kohleabbaus zahlreiche Menschen beherbergt hatte. Das sah heute anders aus. Nicht alle waren geblieben, und so standen viele Häuser leer.
Das hatten wir vorher nicht gewusst. Wir sahen es an verschiedenen Kleinigkeiten. Da waren die Gärten, die eine Pflege vermissen ließen, da nieselte es durch manche Dachlücken, da war die Fassade mehr als unansehnlich, und hin und wieder fehlte auch die eine oder andere Scheibe. Diese Häuser waren allerdings in der Minderzahl, die von Menschen bewohnten überwogen alle Mal.
Wir hatten eine recht lange Reise hinter uns. In einem kleinen Hotel hatten wir übernachtet. Am Morgen hatten wir etwas gegessen, das nicht eben besonders gewesen war.
Ansprüche zu stellen hatte in dieser Gegend kaum einen Sinn. Wir befanden uns nicht in einer Großstadt, sondern in einem Gebiet, das nicht zu den exponierten Landstrichen der Insel gehörte. Mit der Kohle und damit mit dem
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