1504 - Mordgeschichten
wirklich existiert.«
»Das kann man nicht sagen. Er kam zu mir, und er hat mir den Befehl gegeben.«
»Wie im Buch gelesen?«
Plötzlich glänzten seine Augen. »Ja, das ist genauso gewesen. Da gibt Aaron auch die Befehle. Er kann die Menschen lenken, er kann sie leiten und beherrschen. Sie tun alles, was er will, denn Aaron ist der böse Engel aus einer anderen Welt.«
»Das steht in den Büchern.«
»Ja.«
»Wer hat sie geschrieben?«
»Mike Raven.«
Ich schwieg, weil mir den Name nichts sagte.
Dafür sprach Tim weiter. »Mike Raven ist ein toller Autor. Er hat Aaron erfunden. Er ist sein Held, aber ein böser, kein guter wie andere Romanfiguren. Ich habe erleben dürfen, dass es ihn wirklich gibt, und so, wie die beiden jungen Leute in der Geschichte gestorben sind, so sind sie auch hier umgekommen, und zwar durch mich.«
Ich war von den Aussagen alles andere als begeistert und merkte, dass mir das Blut in den Kopf stieg. Auf meinen Handflächen hatte sich Schweiß gebildet, ich spürte den Druck in der Magengegend, denn ein derartiges Geständnis hört man nicht jeden Tag. Und dabei gab sich Tim noch so verdammt locker.
Hier lag einiges im Argen, und das herauszufinden würde meine nächste Aufgabe sein.
Er saß noch immer so harmlos vor mir, wie ich ihn bei meinem Eintreten in die Küche erlebt hatte. Ein Schuldbewusstsein schien er nicht zu haben, und ich fragte weiter.
»Sind es sie einzigen Toten in der Geschichte gewesen, oder gibt es noch mehrere?«
»Das waren nicht die einzigen. Er ist unterwegs, um sich Verbündete zu suchen. Er will eine neue Welt aufbauen.«
Ich konnte es noch immer nicht fassen. So kam ich wieder auf das Thema zurück.
»Aber er ist eine Romanfigur.«
»Ja.«
»Es gibt ihn also nur auf dem Papier.«
Da fing der Junge an zu lächeln. »Ja, das habe ich auch gedacht. Aber es gibt ihn nicht nur in dem Buch oder den Büchern. Ich habe ihn ja gesehen. Er ist zum Leben erweckt worden. Mike Raven hat ihn sich ausgedacht, und nun ist seine Fantasie zur Realität geworden.«
Wenn ich über diese Aussage näher nachdachte, war dieser Mike Raven zu einer wichtigen Person geworden, und darauf wollte ich hinaus. Ich fragte ihn, was er alles über den Autor wusste, aber da musste der junge Mann passen.
»Nicht viel, Mr Sinclair, wirklich nicht viel. Ich bin ihm noch nie begegnet, ich habe auch nicht am Telefon mit ihm gesprochen, ich verehre ihn nur als tollen Autor und weiß, dass er die Geschichten um Aaron geschrieben hat.«
»Du sagtest, es gibt noch mehrere dieser Bücher?«
»Das ist wahr. Zwei noch.«
»Mit einem bösen Ende?«
»Natürlich.«
»Und es könnte sein, dass er noch mal aktiv wird?«
»Bestimmt. Die Geschichten sollen wahr werden, und der Anfang ist gemacht.«
Ich nickte bedächtig. »Ja, das ist er wohl, und ich möchte dir sagen, dass mir so etwas überhaupt nicht gefällt. Ich sehe es sogar als sehr schlimm an.«
»Warum? Viele Menschen glauben an Engel und…«
»Aber nicht an welche, die morden oder morden lassen.«
»Das habe ich getan«, flüsterte Tim. »Ich war Teil einer Geschichte. In bin ein riesiger Fan der Bücher. Ich habe sie verschlungen, und ich warte darauf, dass bald ein vierter Band erscheint. Am Ende des Sommers soll es so weit sein.«
Er dachte nur an sich, an sein Hobby, aber nicht daran, was er getan hatte. Und deshalb musste ich die Frage einfach stellen.
»Ist dir eigentlich klar, welch eine Tat du begangen hast?«
Er schaute mich an. Seine Augen waren groß und klar. Das war auf keinen Fall der Blick eines Mörders.
»Ist dir das klar?«, wiederholte ich meine Frage.
»Was soll das?«
»Bitte, ich möchte wissen, ob du dir darüber im Klaren bist, was du hier getan hast?«
»Ja, das bin ich. Ich konnte nichts anderes tun. So stand es geschrieben, und der Engel sorgte dafür. Es war wie in der Geschichte. Auch da hat es die beiden Toten gegeben.«
In mir fing es an zu kochen. Ich hatte wirklich Mühe, an mich zu halten.
»Macht es dir nichts aus, dass du zwei Menschen umgebracht hast? Du bist ein Mörder. Mit dieser Tat hat sich dein Leben völlig verändert. Du bist aus der Bahn geworfen worden. Einfach weg, verstehst du? Es gibt nichts mehr, was dafür sorgen könnte, dass dein Leben in normalen Bahnen verläuft. Man wird dich anklagen und vor Gericht stellen. Du wirst als Mörder in eine Zelle gesteckt und…«
»Nein, das werde ich nicht!«, behauptete er fast fröhlich, »Davor muss ich keine Angst
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