1505 - Der blinde Blutsauger
hatte sich ihre Haltung verändert.
Sie saß jetzt normal auf ihrem Stuhl und hatte auch die Hände sinken lassen. Auf der hellen Halshaut malten sich die beiden Wunden sehr deutlich ab.
»Ich denke, dass Sie mir einige zu erzählen haben, Miss Doyle.«
»Ja, das habe ich«, erwiderte sie…
***
Auch wenn man davon spricht, dass sich das Wasser in einem Kanal nicht bewegt, so ist es trotzdem nicht ruhig. Ein paar Geräusche entstehen immer. Ein leises Klatschen oder ein Wellenschlag gehören dazu. Das Wasser geriet dann in Bewegung, wenn ein Kahn darauf fuhr, dann schlugen die Wellen bis gegen die Ufermauern.
All diese Geräusche hörte auch der Baron. Er hockte in seinem Versteck in der Tiefe des Kellers, der zum Blindenheim gehörte. Das Gebäude war nicht vollständig unterkellert, aber man hatte schon genügend Platz geschaffen, um die Energieanlagen dort aufzubauen.
Das nur in der einen Hälfte. Es gab auch eine zweite. Dieser Teil diente als Vorratskammer. Hier erschienen die Mitarbeiter aus der Küche, wenn sie etwas einluden oder abholen wollten. Das Lager hätte auch in der Etage darüber eingerichtet werden können, aber da hatte man lieber einige Zimmer gebaut, und so war es bei der Lagerhaltung innerhalb des alten Kellers geblieben.
Ein besseres Versteck hatte der blinde Blutsauger nicht finden können.
Obwohl er kein Augenlicht mehr besaß, bewegte er sich fast so gut wie ein Sehender. Sein Gehirn hatte jeden Weg gespeichert, und so konnte er sich in seinem Gebiet perfekt bewegen.
Er sah die Dunkelheit nicht, er merkte sie nur. Wenn sich der Tag verabschiedete und die Schwärze der Nacht ihr Tuch ausbreitete, dann fühlte er sich am wohlsten. Dann traute er sich auch aus seinem Versteck hervor und schlich durch die Gänge.
Er ging an den Türen der Schlafenden vorbei und war stets darauf bedacht, keinem Mitarbeiter der Nachtschicht zu begegnen. Da roch er dann das Blut hinter den Türen, und vor Gier konnte er kaum an sich halten.
Er schlich in die Zimmer hinein, aber er ging vorsichtig zu Werke. Er saugte das Blut der Menschen, die oft nicht wussten, was mit ihnen geschah. Aber er trank nie viel. Es war jeweils nur ein kurzer Biss, ein schnelles Trinken, dann war es vorbei. Er fühlte sich besser, er war auch noch nicht besonders aufgefallen, und für die Zukunft war genügend Nahrung vorhanden.
Wichtig für ihn war auch die Heimleiterin gewesen. Der Baron wusste nicht, ob die Bissstellen den Mitarbeitern aufgefallen waren. Wenn ja, dann hatte sich nichts daraus entwickelt, und das sah er schon als einen großen Vorteil an.
Wenn jemand das Lager betrat, versteckte er sich. Er tat es nicht gern, aber es gehörte zu seinem Plan, den er unbedingt bis zum Ende durchziehen wollte.
Er wollte das Heim unter seine Kontrolle bekommen. Er brauchte Verbündete, aber er war auch vorsichtig. Ein absolutes Leersaugen kam für ihn nicht in Betracht. Schritt für Schritt wollte er die Insassen in ihre neue Existenz führen. Ein Heim mit blinden Blutsaugern besetzt, genau das waren seine hohen Ziele.
Schon jetzt fühlte er sich als Herr. Er hatte diese Doyle unter seine Kontrolle gebracht. Sie würde zwar noch nicht an ihrem Schicksal verzweifeln, doch der Baron ging davon aus, dass sie schon jetzt zu ihm gehörte.
Der erste Biss war nicht der Schlimmste. Das war nichts anderes als ein Schritt in die richtige Richtung. Da hatte er den Keim gelegt, und der Mensch begann bereits damit, sich anders zu fühlen. Er würde helles Licht widerlich finden. Er würde den Tag ganz anders erleben. Er würde stets müde sein, und er war bereit, sich in sein Schicksal zu fügen.
Matt und lustlos. Darauf warten, dass es dunkler wurde, dann erst kehrte ein Teil seiner Kraft zurück.
Aber das war auch seine Welt. Wenn die Finsternis die Gewalt über die Welt bekommen hatte, würde er unterwegs sein und sich Stella Doyle wieder nähern. Der zweite Biss würde seine Gier befriedigen, und darauf freute er sich. Es war das höchste aller Vergnügen, wenn der warme Lebenssaft in seinen Rachen sprudelte. Er konnte kaum sagen, wie gut ihm das tun würde, und der Gedanke an das frische Blut eines Menschen ließ ihn fast schwindlig werden.
Noch hielt er sich im Keller auf. Die Saat war bei vielen Menschen durch ihn gelegt worden. Sie musste nur noch aufgehen, und dass dies der Fall sein würde, daran hatte er keinen Zweifel.
Es hätte alles perfekt sein können, aber er war nicht ganz zufrieden, denn da gab es etwas, das ihn
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