1505 - Der blinde Blutsauger
Erkundigungsgang durchzuführen. Dahinter steckt etwas anderes.«
»Was denn?«
»Sie wollen etwas herausfinden und werden dabei bestimmte Fragen stellen.«
»Was Sie alles spüren!«
»Verlassen Sie sich darauf.«
»Gibt es denn etwas herauszufinden, was sich lohnt? Was meinen Sie?«
Er fuhr mit dem Finger an seiner Nase entlang. »Das könnte durchaus sein. Ich habe es auch gespürt, aber ich habe es nicht gesehen. Es hat sich etwas verändert.«
»Und was, bitte?«
Der Blinde drehte den Kopf, als wollte er sich umsehen.
»Etwas stimmt nicht mehr in diesem Haus. Ich habe es nicht gesehen, aber ich weiß es. In dieses Gemäuer ist etwas eingedrungen und hat sich hier festgesetzt. Und es besitzt keine gute Aura. Es ist negativ, aber das ist der falsche Ausdruck. Es ist böse, verdammt böse. Menschen müssen sich vor ihm fürchten.«
»Das wissen Sie?«
»Ich habe es herausgefunden. Ich bin öfter unterwegs. Ich sehe mich als Wächter an.«
»Dann können Sie sicherlich erklären, was es ist.«
»Das sagte ich Ihnen schon.«
»Ja«, gab ich zu, »aber es ist alles zu vage. Da gibt es nichts Konkretes. Darauf möchte ich mich nicht verlassen. Das ist mir zu allgemein, verstehen Sie?«
»Kann ich mir denken.«
»Sehr gut.«
Er legte eine Pause ein. Dann flüsterte er: »Man muss achtgeben, sehr gut aufpassen. Die Hölle ist überall, auch hier. Sie hat ihre Tore geöffnet. Viele Menschen sind dumm oder nicht in der Lage, das zu spüren. Bei mir ist es anders. Ich merke es genau. Ich weiß Bescheid. Das Böse hat sich eingeschlichen. Ich kann es nicht sehen, aber ich kann es spüren. Besonders in der Nacht ist es unterwegs, und ich weiß auch, dass es zu uns gehört.«
Nach diesen Worten fiel mir wieder ein, was Justine Cavallo mir gesagt hatte. Sie hatte von einem blinden Blutsauger gesprochen, und der passte perfekt in diese Umgebung.
Ich dachte an die tote Eve. Sie war aus dem Heim geholt worden.
Wahrscheinlich schon als Vampir im Werden und hatte sich dann auf Alfonso Corti stürzen wollen, um ihren ersten Blutdurst zu stillen. Gab es hier tatsächlich die Quelle des Ganzen?
Ich wusste es nicht. Es war alles zu kompliziert. Noch stand eine Mauer vor mir, die ich erst noch überwinden musste.
»Ja, denn«, sagte der Blinde und setzte seinen Weg fort. »Vielleicht treffen wir uns noch mal. Es würde mich zumindest freuen.« Er lachte nicht eben fröhlich und ging weiter.
Jetzt war mein Blick wieder frei. Ich schaute zu dem jungen Mann im Kittel hin, der mir zuwinkte.
»Sie können jetzt gehen«, erklärte er mir.
»Wie schön. Wohin muss ich?«
»Wenden Sie sich rechts. Dann gehen Sie die Treppe hoch. Das Büro finden Sie in der ersten Etage. Das übersehen selbst unsere Insassen nicht.«
»Sehr witzig«, sagte ich, stand auf und machte mich auf den Weg zur Heimleiterin.
Sie hieß Stella Doyle, und ihr Name prangte unter dem Schild mit der Aufschrift »Büro«.
Ich klopfe an, wartete keine Antwort ab und öffnete die Tür.
»Ah, da sind Sie ja, Mr Sinclair.«
Der Mann an der Anmeldung oder jemand anderer hatte meinen Namen also bereits durchgegeben, so brauchte ich mich nicht mehr vorzustellen und sah eine Frau hinter dem Schreibtisch sitzen, die recht müde wirkte.
Abgespannt saß sie in ihrem Büro, vor dessen Fenster Jalousien hingen, die aber nicht völlig geschlossen waren. Trotzdem war es recht dämmrig im Raum, was mich leicht verwunderte.
Sie stand hinter ihrem Schreibtisch auf, als ich auf sie zuging. Auch ihr Lächeln wirkte müde, und für mich war der Blick ihrer Augen auch nicht klar.
Graues Haar, vermischt mit einem blonden Farbton, bedeckte ihren Kopf. Die Frisur sah sehr streng aus, aber das war ihre Sache.
Wahrscheinlich wollte sie so als Respektsperson erscheinen und sich von den Mitarbeitern abheben.
Ihr Händedruck war nicht eben fest, doch darüber ging ich hinweg. Dafür hörte ich ihre erste Frage.
»Jetzt bin ich mal gespannt, was jemand von Scotland Yard bei mir will.«
Sie deutete auf einen Stuhl, der schräg vor ihrem Schreibtisch stand und auf dem ich Platz nahm.
»Ja, das ist auch für mich ungewöhnlich, ein Blindenheim zu besuchen.«
»Dann bin ich umso gespannter.«
»Es geht auch nicht um Sie persönlich«, beruhigte ich sie, »sondern um einen ihrer Schützlinge.«
Jetzt musste sie lachen und fragte: »Was hat eine blinde Person mit dem Yard zu tun?«
»Eigentlich nicht viel. Aber es gibt Ausnahmen.«
»Jetzt wird es noch spannender.«
Ich
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