1505 - Der blinde Blutsauger
nicht?«
»Ich weiß nicht, Stella, ich weiß es wirklich nicht.« Phil holte ein Taschentuch hervor und wischte damit über seine schweißnasse Stirn.
Das Geständnis seiner Chefin hatte ihr fertiggemacht.
»Und jetzt?«, flüsterte er erneut.
Stella Doyle hob die Schultern.
»Dann weißt du auch nicht weiter?«
Sie winkte ab. »Ich oder du, wir sind in diesem Moment gar nicht wichtig. Ich setze voll und ganz auf John Sinclair, der…«
Phil unterbrach sie. »Egal, wer Sinclair ist und mit welchen Absichten er herkam. Er ist ein Polizeibeamter und bestimmt kein Vampirjäger oder so was Ähnliches.«
»Das sollte man meinen. Ich traue ihm trotzdem zu, dass er mit dem Vampir fertig wird. Das habe ich an seinem Verhalten erkannt. Wenn wir überhaupt eine Chance haben, dann durch ihn.«
»Und wo steckt er jetzt?«
»Im Keller, nehme ich an.«
»Aha.« Mehr erwiderte Jurado nicht. Er traf Anstalten, sich zu erheben.
In ihm war so etwas wie ein Jagdinstinkt erwacht. Außerdem wollte er endlich Gewissheit haben.
»Du willst in den Keller, Phil?«
»Ja.«
»Bitte nicht. Wenn du in die Klauen des Vampirs gerätst, saugt er dich leer.«
Jurado lächelte kalt. »Dazu gehören zwei, verlass dich drauf. So leicht lasse ich mir mein Blut nicht absaugen. Zudem habe ich einen Vorteil. Ich bin gewarnt.«
»Aber die Blutsauger sind uns über.«
»Ach, vergiss das.« Jurado ließ sich nicht abbringen. »Ich werde danach zu dir zurückkehren.«
»Nein, bitte…«
Er hörte nicht und drehte sich auf der Stelle herum, weil er zur Tür gehen wollte. Er schaffte auch drei Schritte, dann aber war es vorbei. Die Tür wurde von außen aufgestoßen, und jemand, den weder Stella Doyle noch Phil Jurado kannten, betrat mit schnellen Schritten das Büro.
Es war eine Frau.
Breitbeinig blieb sie vor dem Schreibtisch stehen und sagte mit einer kalt klingenden Stimme: »Mein Name ist Justine Cavallo.«
***
Schweigen. Nur ein leises Geräusch war zu hören, als Phil mit einem schleifenden Schritt zurückwich.
Er konnte nichts sagen, denn das Aussehen der Frau nahm ihm den Atem. Über die Hose und den dünnen Pullover hatte die Frau einen dunkelroten Ledermantel gestreift, der ihr fast bis zu den Waden reichte und nicht geschlossen war. So zeichnete sich ihre fast schon provozierende Figur deutlich ab, doch darauf starrte Phil nicht, es war vielmehr das Gesicht und das sehr helle blonde Haar, denn beides faszinierte ihn.
Ein Gesicht so perfekt wie eine Maske. Eine Ebenmäßigkeit, wie man es nur bei einer Schaufensterpuppe erlebte. Aber diese Frau war nicht tot, sie lebte, denn die rot geschminkten Lippen, die im krassen Gegensatz zu ihrer bleichen Haut standen, zogen sich zu einem kalten Lächeln in die Breite.
»Da bin ich.«
»Und?«
Die Cavallo ging auf Jurado zu, der nicht stehen blieb. Er wich noch weiter zurück, bis er den Stuhl erreichte, auf dem er gesessen hatte.
Dort blieb er stehen, und auch die Blonde bewegte sich nicht mehr.
»Warum sind Sie hier? Was wollen Sie hier?« Stella Doyle hatte sich zusammenreißen müssen, um die Frage zu stellen. Und sie blieb wie auf glühenden Kohlen sitzen.
»Wo ist er?«
»Wer?«
»Der Baron.«
Stella schloss die Augen. Sie fühlte sich plötzlich in einer Falle sitzend, denn sie glaubte, dass diese blonde Person nicht auf ihrer Seite stand, sondern auf der anderen.
»Was wollen Sie von ihm?«
»Wo ist er?«
Die Heimleiterin duckte sich zusammen. Ihr wurde plötzlich so verdammt kalt, und sie ging davon aus, dass es keinen Sinn hatte, wenn sie es mit Ausreden versuchte.
»Im Keller«, erwiderte sie mit leiser Stimme, »er befindet sich unten im Keller.«
»Gut.«
»Aber er ist nicht allein.«
Die Cavallo stutzte. »Nein?«
»Es ist ihm jemand nachgegangen. Ein Mann von Scotland Yard.« Sie hoffte, mit diesen Worten bei der Frau Eindruck schinden zu können.
»Er heißt…«
»… John Sinclair!«
Stella schrak zusammen. Die Blonde hatte ihr die Antwort abgenommen, und damit hatte sie nicht gerechnet. Ein kalter Klumpen setzte sich in ihrem Magen fest. Plötzlich fühlte sie sich umzingelt, und die nächste Frage hörte sie nur schwach.
»Ist Sinclair schon lange weg?«
»Keine Ahnung. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Aber mir kommt es schon recht lange vor.«
Justine nickte, lächelte, und dann tat sie etwas, was beide fast umhaute.
Sie schickte Stella und Phil ein erneutes Lächeln, aber diesmal zog sie die Lippen sehr weit zurück, sodass die beiden
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