1508 - Der Templerjunge
rauben, die er in mich gesetzt hatte.
»Hast du denn einen Vorschlag?«, fragte Suko.
»Ich weiß nicht«, murmelte er und wagte nicht, uns in die Augen zu schauen.
»Aber du wusstest in der letzten Nacht, was du zu tun hattest.«
»Ja, da war alles anders.«
»Inwiefern?«
»Da wusste ich Bescheid.«
»Und jetzt?«, fragte ich.
Imre schüttelte den Kopf. »Jetzt ist alles anders«, erklärte er. »Ich kann nichts erkennen. Ich weiß nur von einer Gefahr, aber sie ist nicht so deutlich zu erkennen.«
»Wer hat es dir gesagt?«, wollte ich wissen. »Die Kugel?«
Der Junge schielte auf sie, aber er hob die Schultern und tat, als wäre er sich nicht sicher.
»Weißt du es nicht?«, hakte ich nach.
»Nicht genau«, flüsterte er. »Diesmal ist es ganz anders gewesen, längst nicht so real.«
»Hast du deinen Vater gesehen?«
»Nein, Mr Sinclair.«
»Hast du ihn denn gehört?«
»Meinen Sie die Stimme?«
»Sicher.«
»Nein, ich habe ihn auch nicht gehört. Es war alles so anders, wie von einer dunklen Wolke verborgen. Aber ich weiß genau, dass sich der Tod auf dem Weg befindet, und er wird vor nichts haltmachen. Nicht vor den Kindern, nicht vor den Frauen und auch nicht vor den Männern. Er ist grauenhaft.«
Seine Worte hatten deprimiert und auch irgendwie erschüttert geklungen.
Marita Kovec hatte es die Sprache verschlagen.
Ich war ebenfalls ratlos, und so etwas machte mich zugleich wütend. Nur konnten wir es dabei nicht belassen, wir mussten etwas unternehmen, und ich glaubte nicht, dass dies hier der richtige Ort dafür war. Deshalb war auch der Junge so wichtig, den ich jetzt wieder ansprach.
»Bitte, auch wenn es dir schwerfällt, aber wir müssen das Unheil verhindern.«
»Und wie, Mr Sinclair?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich glaube nur, dass hier nicht der richtige Platz ist.«
»Wo dann?«
»Wir sollten nach draußen gehen.«
Er überlegte. »Meinen Sie, dass unsere Chancen dort besser wären?«, flüsterte er.
»Das kann ich dir nicht sagen, aber wir haben dort den besseren Überblick, das ist wohl wahr.«
Der Junge überlegte. Er presste dabei die Lippen zusammen. Schließlich gab er sich einen Ruck und sagte: »Ja, lassen Sie uns gehen.«
In diesem Moment schoss Marita Kovec von ihrem Stuhl hoch. »Hast du es dir auch gut überlegt?«, fragte sie.
»Ja, das habe ich.«
»Und weiter?«
»Es wird sich ergeben, Mrs Kovec«, sagte ich. »Aber auch Sie müssen einsehen, dass wir hier nichts bewegen können.«
»Und draußen?«
»Sind die Chancen zumindest besser.«
Sie gab auf und ließ sich wieder auf ihren Platz sinken. »Ja, tun Sie, was Sie nicht lassen können…«
***
Der Mann hieß Nick Toplin. Seit über zehn Jahren ging er schon einem heißen Job nach. Er war Trucker, aber nicht nur ein einfacher Fahrer, sondern jemand mit einer besonderen Ausbildung, denn Toplin rollte mit Gefahrgut über die Straßen der Insel. Er transportierte Benzin, den Nachschub für die Tankstellen, damit dort die Autos ihren Durst löschen konnten.
Toplin hatte an diesem Tag eine Fahrt vor sich, die ihm gar nicht schmeckte. Er musste durch London, und das bedeutete in der Regel einen puren Stress. Enge Straßen, zu viel Verkehr, zu viele Menschen, zu lange Aufenthalte an Ampeln oder anderen Stellen, manchmal im Kreisverkehr stecken bleiben. Das alles wartete auf ihn, wenn er diese Tour bekam und nicht über Land rollen konnte.
Noch wurde sein Wagen betankt. Er konnte sich entspannen, was er auch versuchte. Seinen Platz hatte er in einem Container gefunden, der auf dem Hof stand und wegen der Sonnenstrahlen im Innern schon zu einer heißen Kiste geworden war.
Nick Toplin hatte dem Rechnung getragen und seine graue Jeansjacke ausgezogen. Er saß nur in seinem ärmellosen Unterhemd am Tisch und war dabei, eine Flasche Mineralwasser zu leeren, was die Schweißperlen von seiner Stirn auch nicht wegschaffte.
Toplin war ein Mensch, vor dem nicht nur kleine Kinder Furcht bekamen, wenn sie ihn sahen. Der kahle Kopf, die mächtigen Arme, deren Haut mit dunklen Tätowierungen bedeckt war, die nackte Frauen als Nixen zeigten.
Unter seiner Haut schimmerten die dicken Adern bläulich. Sogar im Gesicht zeichneten sie sich ab, sodass man sein Aussehen wirklich nicht als normal bezeichnen konnte. Die hohe Stirn, die kleine Nase, der ebenfalls kleine Mund. Irgendwie passte das alles nicht zusammen, aber daran verschwendete er keinen einzigen Gedanken.
Es kam nicht auf das Aussehen an, sondern auf die
Weitere Kostenlose Bücher