1508 - Der Templerjunge
ein Bürohaus entstehen sollte.
Nick fuhr von der Straße ab und rollte auf das Tor zu. Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte er hindurchfahren, bremste aber im allerletzten Moment ab, und der schwere Truck kam leicht schaukelnd zum Stehen.
Die erste Runde hatte er gewonnen, glaubte er zumindest. Schräg hinter ihm hing ein Handtuch, das er vom Haken zupfte. Er wollte den Schweiß loswerden, der auf seiner Stirn klebte.
Er hielt es bereits in der Hand. Gegen das Gesicht konnte er es nicht mehr pressen, denn plötzlich war die Stimme wieder da und stellte die Frage in einem höhnisch klingenden Unterton.
»Hallo, Nick. Glaubst du denn wirklich, dass du gewonnen und mich überrumpelt hast?«
Toplin stöhnte erneut auf und zuckte zusammen. Dann drehte er den Kopf nach links und sah etwas, das ihm den Atem verschlug.
Auf dem Sitz neben ihm hockte jemand!
***
Die Plane schlug wieder zu, und Marita Kovec blieb allein unter ihrem Vorzelt zurück. Wie zu Stein geworden saß sie auf ihrem Platz. Sie hielt die Augen offen, starrte gegen die Zeltplane und wusste nicht, was sie denken sollte.
Alles war anders geworden, und wenn sie daran dachte, dass sie eine Hellseherin war, dann konnte sie eigentlich nur über sich selbst lachen.
Sie war keine Hellseherin. Sie machte den Menschen, die zu ihr kamen, nur etwas vor. In Wirklichkeit besaß sie einfach nur eine jahrelange Routine. Sie konnte bestimmte Zeichen und Verhaltensmuster der Menschen perfekt deuten und daraus ihre Schlüsse ziehen. Hätte sie richtig hellsehen können, dann wäre es ihr auch gelungen, in die Zukunft zu schauen, und ihr wären bestimmte Dinge aufgefallen, nach denen ihr Sohn und die beiden Yard-Leute suchten.
Da gab es aber nichts, gar nichts. Nur diese verdammte Leere im Vorzelt. Aber es gab trotzdem einen Gast in ihrer unmittelbaren Nähe, auch wenn dieser unsichtbar war.
Die Angst!
Ja, sie litt darunter. Die Frau wusste nicht, wovor sie Angst hatte, weil es keinen konkreten Hinweis für sie gab, aber sie konnte die Angst auch nicht unterdrücken. Sie war vorhanden und ließ sich nicht verscheuchen.
Sie hatte sich in ihrem Innern festgefressen und produzierte auch den Schweiß, der vom Nacken her über ihren Rücken rann.
»Jetzt steckst du in der Klemme, nicht?«
Die Stimme war da. Aus dem Nichts, und auch wenn sie sehr leise aufgeklungen war, Marita hatte sie trotzdem nicht überhört. Und Marita kannte sie, obwohl es lange Jahre zurücklag, dass sie sie zum letzten Mal gehört hatte. Sie war sicher, sich nicht getäuscht zu haben, und sie wusste jetzt, dass de Lacre gekommen war.
»Du bist es.«
»Ja, ich.« Er lachte. »Eigentlich hättest du mich erwarten müssen, meine Liebe.«
»Nein, nein, das will ich nicht!«
»Aber ich bin es.«
»Ja.«
»Freust du dich?«
»Nein, hau ab!«
»Bitte, das werde ich nicht tun. Aber ich möchte mich bei dir bedanken, dass du dich so intensiv um meinen Sohn gekümmert hast. Es war sehr großherzig von dir. Alle Achtung.«
»Es ist auch mein Sohn!«
»Ja, das weiß ich.«
»Und es wird auch mein Sohn bleiben!«, fügte sie noch hinzu. Dabei klirrte ihre Stimme vor Wut.
»Nein, Marita, nein, so haben wir nicht gewettet. Es ist mehr mein Sohn, und ich habe mich entschlossen, ihn zu mir zu holen. Er ist alt genug. Von nun an wird mein Erbe bei ihm durchschlagen. Nur deshalb bin ich hier, und nur deshalb hörst du mich.«
Es war verdammt hart, was Marita sich da hatte anhören müssen. Ja, sie hatte ihren Sohn über zwölf Jahre hinweg großgezogen, aber in dieser Zeit der Entbehrungen und so manch persönlicher Angriffe war sie auch hart geworden. Das Leben hatte sie gestählt, so leicht ließ sie sich nicht mehr einschüchtern.
»Ich weiß schon lange, was ich zu tun habe. Ich weiß auch, dass ich damals einen Fehler beging, als ich mich mit dir einließ. An die Folgen habe ich damals nicht gedacht. Aber ich habe mir vorgenommen, mein Kind zu beschützen, wenn es um Leben geht. Und daran halte ich fest. Ich lasse mir meinen Vorsatz nicht kaputtmachen, auch nicht von einer Gestalt wie du es bist, magst du auch noch so mächtig sein.«
»Ja, Marita, ich bin mächtig. Und gerade das hat dir damals so gut gefallen. Du bist von mir fasziniert gewesen, das kannst du nicht abstreiten. Nun brauche ich unseren Sohn, wobei ich ›unseren‹ sage, denn er gehört nicht dir allein.«
»Ich habe ihn großgezogen.«
»Das war deine Pflicht als Mutter!«
»Und ich habe noch weitere
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