1509 - Standbild des Grauens
wie man es von einem Blutsauger landläufig erwartete.
Nun konnte sie nicht mehr anders. Sie nickte. Dann fragte sie: »Du weißt Bescheid? Kannst du es dir denken?«
Er wollte sprechen, doch eine normale Antwort war ihm nicht möglich. In seiner Kehle entstand nur ein leises Gurgeln, und er sah, wie sie nickte.
»Du musst verstehen, dass ich Blut brauche. Ich habe nicht als Erste bei dir mein Zeichen gesetzt, das habe ich einer anderen Person überlassen. Sie hat für mich das Feld bestellt, und du weißt sicherlich, was das bedeutet.«
Ja, das wusste er, aber er sagte es nicht. Sein Bewusstsein war nicht mehr so klar vorhanden, wie es hätte sein müssen. Er glaubte, von unsichtbaren Händen umfasst zu werden, die ihn anhoben und aus dem menschlichen Leben entfernten.
Die Hand verschwand von seiner Brust. Sie wurde woanders benötigt, denn er merkte, dass die blonde Vampirin sie unter seinen Kopf schob und diesen dann anhob. Es war nicht der Beginn eines Aufstehens, hier ging es um etwas anderes.
Justine wollte ihn in die für sie richtige Position bringen. Sie saß auf dem Boden, ihre Hände streichelten seine rechte Wange, und sie flüsterte Worte, die Lucius nicht verstand.
»Es muss sein«, sagte sie. »Ich brauche meine Nahrung, das musst du verstehen.«
Sie bedachte ihn noch mit einem letzten, irgendwie auch um Verzeihung bittendem Lächeln.
Dann biss sie zu!
Noch einmal spürte er diesen kurzen, beißenden Schmerz genau an der Stelle, an der sich die Wunde befand. Es war nicht so schlimm wie beim ersten Biss. Trotzdem bäumte er sich noch kurz auf, sackte aber dann zusammen und überließ sich voll und ganz dieser anderen Person, der er einmal vertraut hatte.
Erneut war das Schmatzen zu hören. Das tiefe Stöhnen dazwischen, das zeigte, wie gut es der Unperson tat, das Blut eines Menschen zu schlürfen, um sich zu sättigen.
Er lächelte plötzlich. Es war das letzte Lächeln als Mensch und vielleicht so etwas wie eine Vorfreude auf die neue Situation, die auf ihn wartete und der er nicht entkommen konnte.
Justine trank. Sie wusste, wann sie aufhören musste, und erst als der letzte Tropfen über ihre Zunge perlte, wusste sie, dass sie satt geworden war…
Justine Cavallo richtete sich auf. Sie ließt den Körper aus ihrem Griff rutschen. Er fiel auf den Rücken und blieb so liegen. In den Augen war kein Leben mehr. Ein gebrochener Blick, vergleichbar mit einem Toten.
Und tot war dieser Mensch. Er atmete nicht mehr, er zuckte auch nicht, es war vorbei, aber irgendwann in der nächsten Zeit würde er wieder die Augen aufschlagen, sich aufrichten und sich dann in einer neuen Existenz wieder finden.
Justine Cavallo war zufrieden. Nicht nur mit der Lage allgemein, sondern auch mit sich, denn sie fühlte sich gut, weil sie sehr gesättigt war.
Bevor sie sich umdrehte, wischte sie das Blut von ihren Lippen. Zuvor hatte sie noch die letzten Tropfen abgeleckt. Erst jetzt wandte sie sich der Nackten zu, die sich von Lucius entfernt hatte.
Myrna Lane hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wartete ab. Sie sagte nichts, aber ihr Blick war auf Justine gerichtet, und man sah ihr an, dass sie Probleme hatte, sich mit der neuen Lage zurechtzufinden. Aber ihr gesamtes Gehabe ließ darauf schließen, dass sie die Blonde als Chefin anerkannte und sich deren Willen fügen würde.
Lucius interessierte Justine nicht mehr. Als sie ihn gebraucht hatte, war er zur Stelle gewesen, und das reichte ihr völlig. Jetzt musste sie sich um andere Dinge kümmern, und sie ging mit lockeren Bewegungen auf Myrna zu.
Als sie stehen blieb, senkte die Schwarzhaarige den Blick, ein Zeichen der Aufgabe.
Justine lächelte. So wollte sie es haben. So und nicht anders. Diese Person sollte merken, wer hier die Herrin war. Davon würde sie auch keinen Schritt abweichen.
Sie legte zwei ausgestreckte Finger unter das Kinn der anderen und hob den Kopf so weit an, dass sie sich gegenseitig in die Augen schauen konnten.
Klare, aber auch kalte Blicke, in denen es keinen Funken von Gefühl mehr gab.
»Ja, ich bin da!«, sagte Justine mit leiser Stimme. »Ich habe es gefunden, und ich habe dich gefunden.«
Myrna nickte. »Wusstest du von uns?«
»Jetzt weiß ich es, meine Teure, aber ich weiß leider noch nicht genug, und das muss ich ändern.«
»Wie?«
»Oh, darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Ich denke, dass du mir dabei helfen kannst.«
»Wie denn?«
»Wir gehören zusammen, Myrna. Wir haben sogar
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