1510 - Der Hexenbrunnen
nur.
Sie beging nicht den Fehler, die Tür aufzureißen, um ins Freie zu stürmen. Nein, sie rührte sich nicht und wartete in Lauerhaltung ab.
Kamen noch welche?
Nein, wahrscheinlich nicht, denn die Stimmen wurden wieder leiser. Die Gruppe der Hexen hatte sich also getrennt. Justine ging davon aus, dass sie sich an einem gemeinsamen Ziel zusammenfinden würden, und das konnte nur der Hexenbrunnen sein, der nicht weit von hier entfernt war.
Die blonde Bestie gab sich noch etwas Zeit, bevor sie die Tür so weit öffnete, um hindurchgehen zu können. Ein großer Schritt brachte sie ins Freie, wo sie eine angespannte Haltung annahm, weil sie sich noch umschauen musste.
Die Luft war rein. Sie sah und spürte keine Gegnerinnen. Selbst die Stimmen waren verklungen. Nur wusste die Vampirin genau, wohin sich die Hexen gewandt hatten. Für sie war wahrscheinlich einzig der Brunnen wichtig. Ein Gefäß, das nicht mehr brach liegen, sondern wieder aktiviert werden sollte, um seine Kraft auf die andere Seite übergehen zu lassen.
Sie lächelte vor sich hin. Diesmal würde sie sich nicht so leicht überrumpeln lassen, das stand fest.
Zu sehen war keine der Frauen, aber Justine wusste, in welche Richtung sie sich bewegen musste.
Sie verließ die Nähe des Leichenhauses. Sie ging nicht zu schnell. Nach wie vor war sie sehr aufmerksam, ihre Blicke suchten die Umgebung ab.
Niemand hielt sich hier auf, um ihr den Weg zu verlegen, und so lief sie weiter, blieb aber wenige Meter danach wieder stehen, denn jetzt hörte sie so etwas wie Lachen, Kichern, sogar ein Singen dieser verdammten Weiber, die ihr Ziel erreicht haben mussten.
Justine achtete nicht weiter auf verräterische Geräusche, die sie abgab.
Die Hexen machten genügend Lärm, um alles andere in ihrer Nähe zu übertönen.
Die blonde Vampirin hielt sich an der Kirchenmauer. Sie ging jetzt recht schnell und musste nicht mehr lange gehen, um das zu sehen, was sie sehen wollte.
Ein grünliches Licht wies ihr den Weg. Die Quelle des Lichts sah sie noch nicht, aber es war ein Licht, das sich kaum bewegte und vom Boden her in die Höhe stieg, als wäre es aus dem Erdboden gestiegen.
Der Gesang war für sie jetzt deutlicher zu hören. Und noch immer verstand sie den Text nicht. Es war eine Sprache, die sie nicht kannte, was ihr nicht gefiel, aber sie hatte sich damit abgefunden, bisher noch die zweite Geige zu spielen.
Der grüne Schein wies ihr weiterhin den Weg. Diesmal näherte sie sich dem Hexenbrunnen aus einer anderen Richtung und blieb am Eingang der Kirche stehen. Von hier hatte sie den Hexenbrunnen voll im Blick.
Nein, den Atem musste sie nicht anhalten, als sie das Bild sah. Sie lächelte nur, und das tat sie, weil sie sich freute, einen Erfolg errungen zu haben.
Fünf Hexen umtanzten den Kessel!
Sie hielten sich an den Händen gefasst. Sie tanzten, sie sprangen, sie sangen. Es waren wilde Frauengestalten, deren Haare bei jeder Bewegung in die Höhe flogen.
Justine musste nicht lange suchen, um die Person zu erkennen, deren Namen sie kannte. Lucy tanzte inmitten des Kreises. Ihre roten, langen und strähnigen Haare flogen bei jeder ihrer wilden Bewegungen. Sie wirbelten in die Höhe, fielen dann wieder zusammen und wurden erneut nach oben geschleudert. Dieser Vorgang wiederholte sich permanent.
Und es war nun zu erkennen, woher das grünliche Licht kam.
Sie hatte es schon bei der Ankunft bemerkt, sich danach allerdings zu stark auf die Frauen konzentriert.
Jetzt sah sie, dass sich innerhalb des Brunnens oder Kessels etwas tat.
Er konnte durchaus gefüllt sein. Nur sah sie kein Wasser. Dafür wallte grünlicher Nebel in die Höhe, quoll über den Rand, streichelte die tanzenden Körper der Frauen, die von ihm eingehüllt wurden.
Es lief alles normal ab. Ein Hexentanz. Wilde Bewegungen von fünf Frauen, die menschlich aussahen und ihren Spaß zu haben schienen, weil es aus dem Kessel dampfte.
Befand sich dort nur dieser Dampf oder auch etwas anderes? Vielleicht eine Flüssigkeit, die den Nebel abgab?
Sie fragte sich, wie lange diese Hexen noch tanzen wollten und was der Sinn des Ganzen war. So etwas wie eine halbe Antwort erhielt sie schon, denn plötzlich hörte das Tanzen auf.
Die Frauen standen still.
Kein Lachen mehr, kein Schreien, nichts war zu hören. Die Hexen passten sich mit ihrem Verhalten der Umgebung an.
Und da sie nichts mehr sagten, hörte Justine auch die anderen Geräusche, die bisher übertönt worden waren.
Sie drangen aus dem
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