1510 - Der Hexenbrunnen
leicht bewegt.
Es geschah nichts.
Ich hatte mit einigen Lichtreflexen gerechnet, doch auch die traten nicht ein.
Deshalb griff ich zu einer List. Bisher hatte das Kreuz den Brunnen noch nicht berührt, und das wollte ich ändern. Ich ließ es nicht mehr schwingen, sondern führte es leicht an der Innenseite des Kessels entlang.
Erneut passierte nichts. Es gab keine Erwärmung, auch jetzt hielt sich das Licht zurück.
Ich sah ein, dass es keinen Sinn hatte, und steckte meinen Talisman in die Tasche.
»Pech.«
»Und jetzt? Glaubst du, dass uns Justine einen Bären aufgebunden hat?«
»Nein, das glaube ich nicht. Welchen Grund hätte sie dafür haben sollen? Es wundert mich nur, dass sie sich noch nicht gezeigt hat. Das sehe ich schon als ungewöhnlich an.«
»Was ist das Fazit?« Suko gab sich selbst die Antwort. »Wir werden sie suchen müssen.«
»Darf ich fragen, was Sie hier machen?«
Die Männerstimme überraschte uns beidö. Gleichzeitig drehten wir uns um und schauten auf einen Mann, der wirklich ungewöhnlich aussah.
In seinem Gesicht fiel der rotblonde Bart auf, der beinahe bis zur Brust wuchs und den Mund so gut wie verdeckte. Auf dem Kopf trug er einen grünen Hut mit gewellter Krempe. Jacke, Hose und Hemd vervollständigten seine Kleidung.
Ich lächelte freundlich und gab ihm auch eine Antwort. »Wie Sie erkennen können, schauen wir uns den Brunnen an, der uns recht ungewöhnlich erscheint.«
»Richtig.«
»Ist das denn verboten?«, fragte Suko und tat völlig harmlos.
»Nein, das ist es nicht. Aber Sie haben sich ihn nicht nur angeschaut, Sie haben sich auch mit ihm beschäftigt. Das können Sie nicht abstreiten.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie hatten etwas in der Hand.«
»Das bestreite ich nicht.«
»Und ich will nicht, dass dieser Brunnen zerstört wird. Es ist ein einmaliges Relikt, das von uns sehr gehegt und gepflegt wird. Wir brauchen hier keine Fremden, die sich darum kümmern.«
»Haben Sie das zu bestimmen?«
»Ja«, erklärte der Rübezahl mit fester Stimme. »Ich bin hier so etwas wie der Gemeindevorsteher. Mein Name ist Art Quinlain.«
Da wir schon mal dabei waren, stellten wir uns auch vor, was Quinlain mit einem Nicken entgegennahm. Dann meinte er: »Da alles gesagt worden ist, können Sie in Ihren Wagen steigen und wieder verschwinden.«
»Sie wissen gut Bescheid«, sagte ich.
»Ja.«
»Dann dürfte Ihnen auch bekannt sein, wo unser Fahrzeug steht.«
»Sicher.«
»Und wir haben es nicht nur dort einfach abgestellt. Wir waren auch bei Erin Kendall, um mit ihr über den Tod ihres Mannes zu reden, der schon ein wenig ungewöhnlich gewesen ist, denke ich. Oder sind Sie da anderer Meinung?«
»Darum hat sich bereits die Polizei gekümmert.«
»Stimmt. Ist dabei denn etwas herausgekommen? Weiß man schon, wer der Mörder ist?«
»Keine Ahnung. Und nun verschwinden Sie wieder aus Gaerwen. Wir kommen hier gut allein zurecht und brauchen weder den Besuch noch die Ratschläge von Fremden.«
»Ist der Brunnen denn Ihr Eigentum?«, erkundigte sich Suko.
»Er gehört uns.«
»Und er hat eine grausame Geschichte, wie wir lesen konnten. Sind viele Frauen in ihm gestorben?«
»Ich kenne die Zahl nicht. Aber damals waren andere Zeiten als heute. Das wissen Sie selbst. Der Brunnen steht hier als ein Mahnmal. Dabei sollte man es belassen.«
»Wir würden Ihnen ja zustimmen, Mr Quinlain«, sagte Suko, »wenn es da nicht das Problem mit der Leiche gegeben hätte, die man in Erin Kendalls Vorgarten legte.«
»Was hat das mit dem Brunnen zu tun?«
»Man geht davon aus, dass er bei Bruce Kendalls Tod eine große Rolle gespielt hat. Deshalb ist er auch für uns wichtig.«
»Was haben Sie denn damit zu tun?«
»Wir müssen einen Mord aufklären.«
»Ach, Polizei?«
Suko nickte und lächelte dabei, doch er brachte Quinlain nicht in Verlegenheit.
»Dann machen Sie mal. Aber Ihre Kollegen sind da schon nicht weitergekommen. Der Brunnen jedenfalls hat damit nichts zu tun. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Schade«, sage ich.
»Ja, das ist Ihr Pech.«
Ich blieb weiterhin am Ball. »Da Sie ja die Historie des Brunnen kennen, dürfte es Ihnen nicht entgangen sein, dass Bruce Kendall auf die gleiche Weise umkam wie damals die sogenannten Hexen. Er wurde verbrüht, und man kann deshalb davon ausgehen, dass dieser Hexenbrunnen noch seine alte Funktion erfüllt.«
»Das weiß ich nicht. Ich kann es auch nicht glauben.«
Ich deutete mit dem Daumen über meine linke Schulter.
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