1510 - Der Hexenbrunnen
ihm nicht sagen…
Gejoggt waren wir nicht, sondern ganz normal gegangen. Und das wieder durch einen Ort, in dem eine für uns beklemmende Stille herrschte. Trotzdem zeigten sich Menschen im Freien, die uns aber nicht ansprachen und auch kaum miteinander redeten.
Man registrierte uns.
Man warf uns misstrauische Blicke zu, und wir hatten zudem das Gefühl, dass sich die Bewohner gegenseitig heimliche Zeichen gaben, was uns leicht irritierte.
Nicht nur ich hatte es bemerkt. Suko sprach ebenfalls davon und war der Ansicht, dass wir uns vorsehen mussten, denn er traute den Einwohnern nicht.
»Das riecht nach Verschwörung.«
Ich hob die Schultern. »Kann sein.«
»Dann bilden die Bewohner und die Hexen so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft.« Suko verzog die Lippen. »Das gefällt mir gar nicht, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Mal schauen, was uns der Brunnen bietet.«
»Und auch Justine. Vergiss sie nicht, John.«
Ich hatte sie nicht vergessen und war nur verwundert darüber, dass sie sich noch nicht gezeigt hatte. Wahrscheinlich wollte sie warten, bis wir den Brunnen erreichten.
Weit war der Weg nicht mehr. Wir befanden uns bereits in der Nähe der Kirche. Da wir von der Rückseite kamen, sahen wir auch den kleinen Friedhof und die Leichenhalle, die zu ihm passte.
Nur den Brunnen entdeckten wir nicht. Den fanden wir vor dem Kircheneingang.
Wir waren allein hier, und die Umgebung sah auch völlig normal aus. Wir waren unter anderem davon ausgegangen, dass sich der Brunnen versteckt in einem Gebüsch befand, aber so offen stehend hätten wir ihn nicht erwartet. »Na denn«, sagte Suko. Ich ging um den Kessel herum, schaute ihn mir genau an und entdeckte auch die Füße, auf denen er stand. Es waren Krallen!
Sie hätten zu einem Tier und auch zu einem Reptil passen können.
Vielleicht auch zum Teufel, aber das schob ich im Moment noch von mir.
Dafür sah ich den Text auf der kleinen Tafel und erfuhr, dass dieser Brunnen für die Hexenproben aufgestellt worden war. Da waren die armen Frauen in kochend heißes Öl getaucht worden. Sie hatten so oder so nicht die geringste Chance gehabt, zu überleben.
Ich gab den Weg frei, damit auch Suko die Schrift auf dem Sockel lesen konnte, auf dem der Kessel stand.
»Und jetzt?«, fragte er mich.
»Ich denke, dass der Brunnen hierher gestellt worden ist, gewissermaßen als Abschreckung und Mahnmal. Aber die andere Seite hat zurückgeschlagen, so kann man das sagen.«
»Ohne Grund?«
»Bestimmt nicht. Denk daran, was uns Justine gesagt hat. Hier in Gaerwen weiß man genau, was es mit dem Hexenbrunnen auf sich hat. Davon gehe ich aus.«
»Wo ist Justine? Sie wollte auf uns warten.«
»Du kennst sie doch. Sie hält sich meist zurück, um dann plötzlich zu erscheinen.«
»Nun ja, lassen wir das mal dahingestellt.« Suko schaute über den Rand in den Kessel hinein.
Ich tat es ihm nach, und beide hätten wir frustriert sein können, weil wir nämlich gar nichts sahen. Es gab nichts, was auf eine Gefahr hingedeutet hätte. Der Kessel hatte innen keinen Rost angesetzt und war recht glatt. Spuren von einer Füllung fielen uns nicht auf. Dafür jedoch ein Geruch, der uns beide die Nase rümpfen ließ.
Wir schauten uns an.
Suko schüttelte den Kopf, bevor er fragte: »Kannst du mit dem Geruch was anfangen?«
»Nein.«
»Es stinkt nur bitter.« Suko schnüffelte wieder. »Hat Justine nicht von einem Blut gesprochen, vor dem sie sich ekelte?«
»Hat sie.«
Suko deutete in den Kessel. »Ich will es nicht beschwören, aber ich könnte mir vorstellen, dass dieser Geruch dem ähnelt, was unsere besondere Freundin geschmeckt hat.«
»Kann sein. Weiter bringt es uns trotzdem nicht.«
Suko fuhr mit der Hand an der Innenseite des Kessels entlang.
»Feucht«, kommentierte er, »als wäre dieser verdammte Brunnen noch vor Kurzem gefüllt gewesen.«
»Womit?«
»Keine Ahnung. Zur Not auch mit Hexenblut.«
Ich hob die Schultern, was mir von Suko eine Rüge einbrachte.
»He, du bist so inaktiv. Wir könnten den verdammten Brunnen untersuchen. Niemand ist hier, der uns stört, und auch Justine lässt sich nicht blicken. Da kannst du etwas tun.«
»Was denn?«
»Na ja, sonst nimmst du doch auch immer dein Kreuz.«
»Stimmt.«
»Dann tu es auch hier.«
Ich wollte ihn nicht enttäuschen und holte mein Kreuz hervor. Eine große Hoffnung hegte ich nicht. Aber ich streckte den Arm aus und über den Rand hinweg. Wenig später baumelte das Kreuz hinein und wurde von mir
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