1513 - Gier nach Templerblut
Seite und stellte das Oberteil weg, dann schaute er genau hin.
Ja, es hatte sich nichts verändert. Im Sarg lag noch immer die dunkelhaarige Frau mit der graubleichen Haut. Sie hatte die Augen ebenso geschlossen wie den Mund, und sie sah aus, als würde sie schlafen. Dass dies nicht der Fall war, bewies sie einige Sekunden später, als sie den Mund öffnet und zugleich die Augen aufschlug.
Der Abbé wandte seinen Blick nicht ab. Er schaute sehr genau hin und sah die roten Pupillen, die aussahen wie Blutstropfen.
Das war nicht alles, denn das Wichtigste kam noch. Da musste er nur ein wenig Geduld haben.
Sie wurde nicht lange strapaziert. Erst sah er das Zucken der Augendeckel, aber nicht bei ihnen geschah es, sondern am Mund.
Da öffneten sich die Lippen. Besonders die obere schob sich zurück, und so starrte der Abbé auf zwei spitze Vämpirzähne!
Verka war erwacht!
Der Abbé war erstarrt. In seinem Innern schien alles eingefroren zu sein.
Er kannte das Spiel. Die Gestalt im Sarg war ihm nicht neu, und er spürte den harten Schlag seines Herzens in der Brust, die sich immer mehr zu verengen schien.
Er machte sich keine Gedanken. Er nahm die Tatsache hin, dass vor ihm eine Gestalt lag, die es eigentlich nicht geben durfte. Aber es gab sie trotzdem, und er als Geistlicher hielt sie zudem im Keller unter der Sakristei versteckt.
Und wieder schoss ihm der Begriff Todsünde durch den Kopf. Wobei er an nichts Weiteres mehr dachte, denn die Person im Sarg lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich.
Verka bewegte sich. Sie öffnete den Mund noch weiter und stöhnte leise auf. Ähnlich wie ein Mensch, der nach einem langen und erfrischenden Schlaf erwacht ist und jetzt wieder zurück ins tägliche Leben kehrt.
Sie würde auch nicht länger im Sarg bleiben. Sie würde aufstehen, die Dunkelheit ausnutzen und weggehen. Sie würde das tun, was sie tun musste: Blut trinken, um weiter existieren zu können.
Sie war so gierig nach Blut, aber der Abbé wusste auch, dass es sich um das Blut bestimmter Menschen handelte, über die er nicht weiter nachdenken wollte. Er blieb gefangen in seiner Welt und musste mit seinem Gewissen allein zurechtkommen.
Er trat vom Sarg weg, um Verka den nötigen Platz zu lassen, wenn sie aufstand. Die Gestalt bewegte sich noch langsam, aber sie gewann an Kraft und stemmte sich hoch.
Dann stand sie in ihrer Totenkiste.
Ihr Blick war nach vorn und ins Leere gerichtet. Man konnte beim besten Willen nicht behaupten, dass so etwas wie Gefühl in ihren Augen gelegen hätte, man sah einfach nur die kalt schimmernden Blutpunkte.
Sie stieg über den linken Sargrand hinweg und wartete neben der Totenkiste.
Der Abbé war einen Schritt zur Seite gegangen, weil er nicht störend im Weg stehen wollte. Er sagte auch nichts. Jeder Kommentar wäre überflüssig gewesen. Hier regierte einzig und allein die Person, die vom Blut der Menschen existierte.
Sie nickte dem Abbé zu. Er kannte das Ritual schon, schließlich hatte er ihr nicht zum ersten Mal den Weg geebnet.
»Du gehst jetzt?«
»Ja, ich gehe.«
»Gut.«
»Und ich werde wieder zu dir zurückkehren, das weißt du. Also sei bereit und denk immer daran, dass ich jeden Fehler sofort bestrafe. Sollte ich merken, dass du nicht mehr auf meiner Seite stehst, wird es schlimm für dich werden. Nicht, dass ich dir unbedingt dein Blut aussaugen würde, nein, ich würde dich zerhacken.«
Plötzlich lachte sie auf und schüttelte den Kopf so heftig, dass ihre langen, dünnen und pechschwarzen Haarsträhnen von einer Seite zur anderen flogen.
»Du musst keine Sorge haben, ich werde dich nicht verraten.«
»Das ist gut.« Verka wandte sich der Treppe zu und flüsterte: »Die Jagd kann beginnen…«
***
Fernand Bullet hatte es einfach nicht mehr geschafft, als Templer zu leben. Nicht dass er Hass gegen seine Mitbrüder empfunden hätte, es gab einen ganz anderen und sehr menschlichen Grund.
Und der hieß Corinna.
Er hatte sich in diese Frau verliebt, seit dem ersten Zusammentreffen auf einem Marktplatz. Da hatte ein Blick ausgereicht, und es war um ihn geschehen gewesen.
Einige Monate hatte er sich noch gegen das Gefühl der Liebe auflehnen können, dann war es vorbei. Da hatte er ihr und auch sich selbst gesagt, dass er sich entscheiden musste, und das hatte er gegen die Bruderschaft der Templer getan.
Er war auf großes Verständnis seines Meisters gestoßen, denn auch Godwin de Salier lebte innerhalb des Klosters mit einer Frau zusammen, Sophie Blank,
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