1520 - Geschäfte mit Topsid
überschlugen sich fast vor lauter Dienstbereitschaft.
Dao-Lin-H’ay hatte fast handgreiflich werden müssen, um wenigstens innerhalb ihrer gemieteten vier Wände ihre Ruhe zu haben, und dann hatte sie feststellen müssen, daß aus den vier Wänden unversehens deren sechzehn geworden waren: Man hatte einige der anderen Mieter kurzerhand ausquartiert, um Dao-Lin-H’ay eine ganze Suite luxuriöser Räume zur Verfügung stellen zu können.
Vier dienstbare Geister warteten in fast schon hysterisch anmutender Pflichtbesessenheit darauf, der berühmten Kartanin jeden Wunsch von den Augen ablesen zu können. Da sie freiwillig nicht weichen wollten, sondern sich eisern auf die Befehle beriefen, die man ihnen erteilt hatte, mußte Dao-Lin-H’ay sie persönlich vor die Tür setzen.
Dort saßen sie immer noch, jenseits der dreifach gestaffelten Portieren aus schwerem, schallschluckendem Gewebe, und warteten schmollend darauf, daß Dao-Lin sie endlich ihres Amtes walten ließ.
Unter diesen Umständen hielt die ehemalige Voica es für angebracht, in aller Heimlichkeit aus dem Hotel zu verschwinden. Das Gravo-Pak, das sie aus der ARDUSTAAR mitgebracht hatte und von dem sie schon geglaubt hatte, daß sie es gar nicht brauchen würde, leistete ihr bei diesem Vorhaben gute Dienste.
Zu ihrem Schlafraum gehörte eines dieser riesigen Fenster, für die die Kartanin eine besondere Vorliebe hatten.
Sie bestanden aus zwei Flügeln, einem oberen und einem unteren, die man unabhängig voneinander öffnen und in jeder beliebigen Stellung arretieren konnte: Die Kartanin liebten frische, kalte Luft, besonders in der Nacht, aber sie legten andererseits wenig Wert darauf, am nächsten Morgen unter einer Schneewehe aufzuwachen.
Und diese Gefahr bestand in Tozinkartan fast immer, mit Ausnahme des kurzen Sommers, der sich im Normalfall dadurch bemerkbar machte, daß es in Strömen goß.
Dao-Lin-H’ay öffnete den unteren Flügel.
Am Tage hatte man von hier aus einen herrlichen Blick über die Stadt und den Graben. Jetzt war davon nicht viel zu merken.
Tozinkartan wirkte in dieser Nacht wie ausgestorben. Nur unten im Graben und auf den in den Fels hineingeschlagenen Straßen der Unteren Stadt herrschte noch Betrieb. Von dort glommen die Positionslichter der Gleiter durch die treibenden Schneeschwaden, und hier und da waren hellerleuchtete Häuserfronten in der Finsternis zu erkennen. Ab und zu stieg vom Raumhafen draußen auf der Hochebene im Süden der Stadt ein Schiff in den wolkenverhangenen Himmel hinauf.
Lautlos schwebte Dao-Lin-H’ay in den Sturm hinaus. Neben ihr lagen die in den Fels geschlagenen Straßen. Über ihr ragten finster und drohend die Wände der Schlucht auf, in regelmäßigen Abständen mit Warnleuchten besetzt, damit die Gleiter, die in die Untere Stadt hinabstrebten, nicht mit dem Fels kollidierten.
Besonders gefährliche Stellen wurden von grellen Scheinwerfern angestrahlt.
Früher hatte Dao-Lin-H’ay sich hier heimisch gefühlt, und insgeheim hatte sie jeden Planeten, den sie betrat, an jener kalten, stürmischen Welt gemessen, die sie als ihre Heimat ansah.
Dabei hatte sie selbst in ihrer Kindheit stets nur für kurze Zeit auf Kartan gelebt.
Man hatte sie schon sehr früh in die Esper-Schule von N’jalin aufgenommen. Sie hatte die Zeit ihrer Ausbildung im Innern eines atmosphärelosen Felsbrockens verbracht und war nur gelegentlich zum Zweck der Erholung zu ihrer Familie heimgekehrt.
An ihre Eltern erinnerte sie sich kaum. Ihre Mutter war schon früh bei einem Gefecht mit den Maakar ums Leben gekommen, und ihr Vater hatte diesen Schicksalsschlag nie überwunden. Er hatte sich als Eremit in die Bergwelt von Kartan zurückgezogen und war dort bei einem Eissturm erfroren.
Dao-Lin-H’ay hatte all dies niemals als ungewöhnlich empfunden. Sie war in einer wilden, gewalttätigen Zeit aufgewachsen. Die Kriege mit den Maakar, die Suche nach Lao-Sinh, die Paratau-Ernte - all diese Herausforderungen hatten Opfer gekostet. Niemand hatte damals Zeit gehabt, lange darüber nachzudenken. Sie alle hatten das Gefühl gehabt, einfach nur immer das zu tun, was gerade notwendig war.
Inzwischen hatte sich vieles geändert - vor allem hier auf Kartan. Die Suche nach Lao-Sinh, die Forderungen der Stimme von Ardustaar, die so große Opfer von der Bevölkerung verlangt hatte, all das gehörte der Vergangenheit an. Die Kartanin von heute konnten sich Zielen widmen, an die man damals nicht einmal zu denken gewagt hatte.
Es
Weitere Kostenlose Bücher