1524 - Schreckens-Zoo
die beiden Verfolger noch in der Nähe aufhielten.
Im Moment schien das nicht der Fall zu sein, denn sie entdeckte ihre Schatten nicht. Das war ein kleiner Vorteil, den sie auch ausnutzen wollte. Es war klar, dass dies hier kein Platz für länger sein konnte. Sie musste sich einen besseren Beobachtungsposten suchen, und dafür musste sie weiter nach unten rutschen.
So einfach wie auf einer Rutschbahn war es nicht. Zu viele Hindernisse gab es, aber sie hatte schon jetzt gesehen, dass Zweige und Äste in einer bestimmten Höhe aufhörten und deshalb den Blick nicht mehr verwehrten.
Im Moment herrschte Ruhe. Hin und wieder raschelte es in ihrer Nähe.
Das lag dann am Wind, der mit den Blättern spielte. Das satte Schlagen der Flügel ihrer Verfolger vernahm sie im Moment nicht und sah dies als gutes Zeichen an.
Carlotta kletterte tiefer. Sie rutschte, hielt sich wieder fest, und sie achtete darauf, so leise wie möglich zu sein. Eine Waffe besaß sie nicht.
Wenn es zu einem erneuten Angriff kam, musste sie sich mit den bloßen Händen verteidigen.
Nach etwa einer Minute hatte sie ihren neuen Beobachtungsposten erreicht. Es war auf einem der unteren Äste, an dem sie sich festhalten konnte. Hier hatte sie einen besseren Blick.
Carlotta sah etwas, was ihr bisher noch nicht aufgefallen war.
Schräg unter ihr und damit am Ende eines flachen Hangs stand eine Hütte. Es war mehr ein Blockhaus und recht stabil gebaut. Ob sich jemand darin aufhielt, sah sie nicht. Sie konnte sich aber vorstellen, dass hier diese Alina Erskine lebte.
Carlotta überlegte, wie sie vorgehen sollte. Momentan war alles ruhig.
So spielte sie mit dem Gedanken, sich aus ihrer Deckung zu lösen und zur Hütte zu fliegen, denn deren Dach bot einen guten Landeplatz.
Nein, so weit war sie noch nicht. Sich jetzt ins Freie zu begeben hätte nur die beiden Verfolger angelockt. Was tun?
Warten und sich noch eine bessere Sicht verschaffen?
Noch wusste sie nicht, was mit Maxine passiert war.
Die Antwort erhielt sie wenige Sekunden später, und das Geschehen raubte ihr den Atem.
Von der rechten Seite her tauchte ein Mann auf.
Es war eine große, kräftige, aber auch unförmige Gestalt, die Kurs auf den Eingang der Blockhütte nahm. Nur war sie nicht allein, denn über ihrer linken Schulter hing eine reglose Gestalt.
Carlotta schnürte es das Herz zusammen, als sie Maxine erkannte, und plötzlich hatte sie das Gefühl, in einen Abgrund der Hoffnungslosigkeit zu versinken. Sie spürte, wie ihr die Tränen aus den Augen liefen und sah dann verschwommen den Schatten in der Luft, der die beiden Menschen überholte.
Es war der dritte Vogel, der seine Wachposition auf dem Dach der Hütte einnahm.
Carlotta dachte nur an Maxine, und sie betete darum, dass man sie nicht umgebracht hatte…
***
Etwas Kaltes und zugleich Feuchtes berührte die Lippen der Tierärztin.
Es sorgte dafür, dass sich das Aufwachen der Frau etwas beschleunigte.
»Trink das!«
Eine schwach klingende Frauenstimme erreichte die Ohren der Tierärztin, die rein reflexartig ihre Lippen bewegte, sodass sich der Mund öffnete.
Das Wasser tat ihr gut. Es war herrlich frisch und kalt. Ein Gegenpart zum Gefühl in ihrem Kopf, der von Schmerzen beherrscht wurde. Es war ein Stechen und Ziehen, aber auch ein Druck, den sie bisher nicht gekannt hatte.
Es dauerte ebenfalls seine Zeit, bis das Erinnerungsvermögen wieder einsetzte. Die Bilder stiegen aus der Tiefe hoch, und Maxine wusste, dass sie vor ihrer Bewusstlosigkeit gar nicht gut ausgesehen hatte. Sie war nicht stark genug gewesen, ebenso wie Carlotta!
Der Gedanke erwischte sie wie ein Tief schlag. Plötzlich spürte sie den Stich in ihrer Brust. Ihr ging es wahrlich nicht gut, aber der Gedanke galt nicht ihr, sondern Carlotta.
Was hatte man mit ihr gemacht?
Das Glas verschwand von ihren Lippen. Bisher hatte Maxine die Augen geschlossen gehalten und sich nur auf das konzentriert, was sich in ihrem Gehirn abspielte. Das änderte sich nun. Sie wollte sehen, was in ihrer Nähe geschah, und sie wollte sich den Dingen stellen.
Ihre untere Gesichtshälfte fühlte sich taub an, in der oberen verspürte sie die Stiche, und als sie es endlich schaffte, die Augen zu öffnen, da sah sie in ihrem etwas eingeschränkten Sichtkreis eine Person, die sie kannte.
Es war diese Alina Erskine, die Frau aus dem Zoo, deren Augen Maxine interessiert betrachteten, wobei der Blick schon recht abschätzend war.
Die Tierärztin tat zunächst nichts.
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