1524 - Schreckens-Zoo
malträtierten sie, und sie wollte sich aufbäumen, um den Vogel loszuwerden. Aber er war zu schwer. Sie bekam nur ihren Kopf hoch und schrie vor Verzweiflung auf.
Der Schrei schien ihre Rettung zu sein. Sie hörte plötzlich die Stimme des Vogelmädchens über sich.
»Ich hole ihn weg, Max!«
Dann erlebte sie, wie der Monstervogel auf ihrem Rücken durchgeschüttelt wurde. Er schrie ebenfalls, und Carlotta musste schon hart an seinem Federkleid zerren, um ihn von seinem Opfer zu lösen.
Dann war Maxine frei!
Sie konnte in den folgenden Sekunden kaum begreifen, dass sie den Druck los war. Es gelang ihr, sich wieder normal zu bewegen, auch wenn dies unter starken Schmerzen geschah.
Dann sah sie, wie eine schmale, aber dennoch kräftige Hand die Spitzhacke aus dem Boden zerrte. Von nun an wollte sie sich keine Gedanken mehr über ihr Schicksal machen, sie wälzte sich nur zur Seite und setzte sich dann hin, um zuzusehen, wie Carlotta mit dem zweiten Vogel zurechtkam. Der andere hatte sein Leben inzwischen ausgehaucht.
»Es gibt keinen Mandragoro, der uns zur Seite steht!«, flüsterte die Tierärztin und hielt Ausschau nach Alina Erskine, die sie nirgendwo sah.
Dafür erlebte sie Carlottas Aktion.
In diesen Augenblicken musste sie zugeben, dass aus diesem Mädchen, diesem Kind, das sie vor einigen Jahren zu sich genommen hatte, eine Kämpferin geworden war.
Der Kampf spielte sich in der Luft ab. Beide umkreisten sich. Der Vogel hatte als Waffe seinen Schnabel, Carlotta aber hielt die Spitzhacke fest.
Keiner wollte den ersten Angriff führen, um nicht in einen Gegenschlag zu laufen.
Es war Carlotta, die dem grausamen Spiel ein Ende bereitete. Sie schoss plötzlich vor. Angetrieben durch einen mächtigen Flügelschlag.
Und sie schaffte es, bevor der Monstervogel ausweichen konnte. Von unten her rammte sie die Spitzhacke in den Körper. Sogar recht weit oben, sodass der Hals durchbohrt wurde.
Das war das Ende des Monstervogels, denn jetzt gab es keinen mehr, der ihm noch helfen konnte.
Seine Flügel bewegten sich unkontrolliert, und es sah aus wie letzte Zuckungen. Noch in der Luft schwebend zerrte Carlotta die Hacke wieder aus dem Körper.
Wie ein Stein sackte der Vogel zu Boden, wo er dumpf aufschlug und sich nicht mehr bewegte.
Carlotta aber schwebte langsam nach unten. Je näher sie dem Erdreich kam, umso breiter wurde ihr Lächeln, und der Tierärztin kam sie in diesem Augenblick wirklich wie ein Engel vor…
***
Carlotta hatte die Hand ausgestreckt und Maxine auf die Füße geholfen.
Beide standen sich gegenüber und wussten nicht, was sie sagen sollten, bis sie sich schließlich umarmten.
»Wir haben es geschafft!«, flüsterte Carlotta.
»Nein, du hast es geschafft.«
»Wir, Max, und das ohne Hilfe aus London. Ich glaube, wir sind ein gutes Team.«
»Das scheint mir auch so zu sein.«
Sie wussten beide, dass es noch eine Aufgabe für sie gab. Sie gingen zur anderen Hausseite hin und sahen einen leblosen Frauenkörper auf dem Bauch liegen.
Maxine drehte ihn auf den Rücken. Die Augen einer Toten starrten sie an. Alina Erskine hatte ihren überzogenen Einsatz mit dem Leben bezahlt.
»Schade«, sagte Maxine. »Ihr Leben hätte anders verlaufen müssen. Wäre sie nicht so verbissen gewesen, ich denke, wir hätten sogar Freundinnen werden können.«
»Nun schmort sie in der Hölle.«
»Wer weiß das schon?«, murmelte Maxine und schaute hinüber zum Wald. Dicht vor ihm zeichnete sich eine Gestalt ab.
Es war Otto, der die Flucht ergriff.
Für die beiden Frauen spielte das keine Rolle mehr. Sie hatten gewonnen, aber die Nachwehen des Falls würde sie noch einige Zeit beschäftigen, denn Maxine brauchte eine Erklärung für die Polizei.
Carlotta wollte sie aus dem Spiel heraushalten, und wenn man ihr nicht glaubte und alle Stricke rissen, dann gab es da noch den Geisterjäger John Sinclair von Scotland Yard, der sie sicherlich unterstützen würde, obwohl er selbst nicht dabei gewesen war…
ENDE
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