1527 - Phantom der Hölle
letzten jammernden Schreien verbunden.
Ich wartete und hörte nichts mehr von ihnen.
Stille!
Wenn die absolute Stille wirklich existierte, dann umgab sie mich hier.
Da war wirklich nichts zu hören. Diese Stille musste auch im All herrschen, und wer sie erlebte, für den konnte sie beängstigend sein.
Auch mich ließ sie nicht kalt.
Die Stimmen hatten sich aus meiner Nähe zurückgezogen. Nur kannte ich den Grund nicht. Ich spekulierte und gelangte zu dem Schluss, dass meine Anwesenheit oder vielmehr die meines Kreuzes dafür verantwortlich war. Wahrscheinlich hatte es die anderen vertrieben.
Wer waren sie?
Da ich von der anderen Seite nichts mehr hörte, konnte ich darüber nachdenken. Und wenn ich ehrlich mir selbst gegenüber war, hatte ich nicht den leisesten Schimmer. Die Lösung stand nicht in der Luft geschrieben, ich musste mir schon meine eigenen Gedanken machen.
Da gab es eigentlich nur eine Erklärung.
Ich war in einem Reich der Geister gelandet. In einer Dimension, in der möglicherweise die Seelen der Toten ihr Unwesen trieben. Aber wessen Seelen waren es? Wem hatten sie gehört?
Und dann kam mir ein anderer Gedanke, weil ich von dieser tiefen und absolut lichtlosen Finsternis umgeben war. Und es schoss mir wie ein Blitzstrahl durch den Kopf.
Der Spuk!
Auch er lebte in einem lichtlosen Reich. Er war der große Seelenschlucker, denn sein Reich vermehrte sich durch die Seelen der getöteten Dämonen, und so musste er eigentlich mein Freund sein, denn ich versorgte ihn ständig mit Nachschub.
Sollte ich in einen Ableger des Spukschen Reiches gelangt sein, das sich hier unterirdisch ausgebreitet hatte?
Unmöglich war nichts. Die andere Seite der Welt hielt immer wieder Überraschungen für mich bereit, und ich war davon überzeugt, dass es bis zum Spuk nur ein kleiner Schritt war.
Die Luft war nach wie vor gut zu atmen. Ich bekam auch keine Probleme, wenn ich mich bewegte, und ich wunderte mich nur, dass ich es konnte, denn bei der Form des Trichters hätte man davon ausgehen können, dass sein Ende spitz zulief.
Das war nicht der Fall. Ich konnte ungehindert drei normale Schritte in alle Himmelsrichtungen gehen. Weiter entfernte ich mich nicht. Ich musste auch an das Seil denken, das nach wie vor meinen Oberkörper umschlang.
Es brachte mich nicht weiter, wenn ich hier unten blieb und darauf wartete, das irgendetwas geschah. Durch mein Kreuz waren wohl die hier lauernden Geister vertrieben worden. Etwas Neues war nicht hinzugekommen.
Also wieder nach oben.
Meine Helfer dort beneidete ich nicht. Ich wollte versuchen, sie so gut wie möglich zu unterstützen.
Das Zeichen zwischen uns war abgemacht. Ich musste nur zweimal ziehen, dann wussten Harry und die beiden Polizisten Bescheid.
Ich tat es.
Harry Stahl würde reagieren. Dazu kannte ich ihn gut genug. Aber er tat es nicht.
Ich gab das Zeichen erneut.
Wieder nichts. Das Seil hing zwar fest und fiel mir nicht in der Tiefe entgegen, aber Harry und die beiden Polizisten zeigten keinerlei Reaktion.
Mir rann es kalt den Rücken hinab. Und diese Kälte schien aus zahlreichen Spinnenbeinen zu bestehen. Mir wurde allmählich klar, dass dort oben nicht alles so glatt gelaufen sein konnte, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte.
Wie viele Meter ich in die Tiefe gestiegen war, darüber hatte ich nicht weiter nachgedacht. Ich stand hier im Finstern. Über meinem Kopf hatte sich jetzt ebenfalls eine Decke aus Finsternis ausgebreitet, und wenn ich es durch das Zeichen schon nicht schaffte, etwas zu erreichen, dann vielleicht durch einen Ruf.
Kein Zögern mehr. Ich riss den Mund auf und brüllte in die Höhe: »Harry!«
Ich vernahm so etwas wie eine Rückkoppelung, und dann wurde mir klar, dass mein Ruf in der Schwärze untergegangen war, die nicht nur das Licht schluckte, sondern auch alle Töne.
Meine Stimme drang nicht aus der Schwärze hervor, und ich musste mich mit dem Gedanken anfreunden, hier unten so gut wie verloren zu sein…
***
Harry Stahl stand näher am Rand des Trichters als die beiden Polizisten.
Er spürte als Erster das verabredete Zeichen und ging davon aus, dass es John Sinclair geschafft hatte.
Er löste seine Hände vom Seil, und die Helfer taten es ihm nach. Dann drehte er sich zu ihnen um.
Stefanie Kirchner und Rico Appelt waren durch die Anstrengung ebenso gezeichnet wie er. Der Schweiß hatte ihre Gesichter nass werden lassen, und es war ihnen deutlich anzusehen, dass sie unter hartem Druck oder Stress
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