1535 - Der Satan von Soho
ich konzentrierte mich auf eines, und zwar auf das, was mir am nächsten lag. Zu meiner Zeit gab es hier die Hungerford Bridge, über die die Züge fuhren, die zum Waterloo-Bahnhof wollten. Die Brücke sah ich nicht. Es gab auch keine Gleise, dafür zahlreiche Bauten am Ufer. Von der Tower Bridge sah ich auch nichts.
Die Stadt schlief. Die Menschen mieden die Nacht, und ich fragte mich, ob sie dafür ihre Gründe hatten. Auch Scotland Yard war in dieser Zeit noch nicht gegründet worden. Ich erlebte eine Stadt, die vor der Geburt zur Neuzeit stand.
Die Lagerhäuser, die so etwas wie eine Speicherstadt bildeten, waren nicht zu übersehen. Aber das alles nahm ich nur am Rande wahr. Ich beschäftigte mich mehr mit dem Fall an sich.
Dieser Samson, der sich als Satan von Soho bezeichnete, musste eine große Macht besitzen. Er war jemand, dem es gelang, die Zeiten zu manipulieren. Aber was hatte er in meiner Zeit zu suchen gehabt?
Außerdem hätte er längst tot sein müssen.
Er war, es nicht. Er hatte überlebt, und allein schon deshalb musste er einen magischen Hintergrund haben.
Ich schlenderte weiter in Richtung Wasser, hörte jetzt das Schreien der Vögel, die selbst in der Nacht umherflogen, um sich an den Fischabfällen zu sättigen, die nicht verwertet wurden und offen auf dem Pier lagen.
Die enge Gasse lag hinter mir. Ich war am Pier angelangt und hatte jetzt freie Sicht auf den Fluss. Nur wenige Lichter blinkten auf der anderen Seite der Themse. Über mir lag der Himmel als finsteres Tuch.
Auch auf den Schiffen sah ich keine Bewegung. Soho war wirklich ausgestorben oder litt unter der Angst vor einem zweibeinigen Satan.
Und dann sah ich doch jemanden. Es war ein Mann, der auf einer Steinbank hockte. Er starrte über den Fluss hinweg und drehte erst dann seinen Kopf nach links, als er mich hörte.
Er stand nicht auf. Nur seine Haltung wurde noch gespannter.
»Ist es gestattet?«, fragte ich und deutete auf den freien Platz neben ihm.
»Ja, wenn du willst.«
Er musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen, denn meine Kleidung musste für ihn ungewöhnlich sein. Er selbst trug eine Hose, so etwas wie einen Mantel und einen wollenen Pullover als Oberteil. Im Gesicht wuchs ein dunkler Bart, und ich sah auch den Griff eines Messers aus einer Lederscheide ragen.
»Du bist fremd hier.«
»Das stimmt«, gab ich zu.
»Wo kommst du her?«
Die Ausrede fiel mir schnell ein. »Ich war auf Windsor Castle und habe einen Freund besucht. Ich komme aus Schottland, aber dort ging es mir zu schlecht. Viele meiner Landsleute wollen fliehen, sie halten die Armut nicht aus. Die Anführer der Clans saugen sie aus. Es sind keine guten Zeiten.«
»Das ist wohl wahr.«
»Aber ich wusste nicht, dass, es so ruhig hier ist. Was ist los? Wird Soho eingehen?«
»Nein, aber die Menschen haben Angst. In der Nacht schleicht der Satan von Soho umher. Es hat schon Tote gegeben. Er holt sich, was er haben will. Er ist ein Rächer, und rechnet mit denen ab, die ihm etwas angetan haben.«
»Was tat man ihm an?«
»Man jagte ihn fort. Er wurde mit Schimpf und Schande ausgestoßen. Erst haben sie ihn gebraucht und dann weggeschickt.«
»Warum taten sie das?«
»Sie wollten ihn nicht mehr in ihrer Nähe haben. Er war der Henker hier, und das konnten sie nicht verkraften.«
»Hatte er auch einen Namen?«
»Samson.«
Die Überraschung hielt sich bei mir in Grenzen. So etwas hatte ich mir schon gedacht.
»Und jetzt ist er wieder unterwegs?«
»Ja, in jeder Nacht.«
»Tötet er auch?«
Der Mann nickte. »Warum?«
Der Fischer strich über seine Oberschenkel und schaute auf die aufgespannten Netze in seiner Nähe.
»Es ist nicht gut, wenn man hier zu viele Fragen stellt.«
»Ja, das kann ich mir denken. Aber gilt das auch für Fremde?«
»Für alle.«
»Und du wartest jetzt auf ihn?«
»Nein, ich sitze hier nur, weil ich aus meinem Haus wollte. Ich kann nicht mit einer Toten zusammen sein.«
»Ahm - Tote?«
»So ist es.«
»Und wer hat…«
»Es ist meine Frau, und sie kam nicht durch den Satan ums Leben. Sie war lange krank. Ich kann sie erst morgen abholen lassen. Daran solltest du erkennen, dass die Menschen nicht nur unter der Klinge des Satans sterben.«
»Und warum tötet er? Nur weil ihr ihn aus der Stadt gejagt habt?«
»Er muss es tun. Es gibt Leute, die behaupten, dass er einen Pakt mit der Hölle geschlossen hat, aber das ist es nicht. Ich glaube daran, dass er schon vor seiner Arbeit als Henker hier wusste, was
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