1539 - Im Wald der Wölfe
Wölfe erschienen wären und ihn angegriffen hätten.
Noch ging es, noch fühlte er sich als Mensch. Den ersten Anfall hatte er überstanden. Er konnte wieder normal sehen. Er entdeckte keine Veränderung an seinem Körper. Es wuchsen keine Haare, die sich später zu einem Fell verdichten würden, doch das würde noch kommen, wenn die Dunkelheit den Tag abgelöst hatte.
Er fürchtete sich vor der Nacht, und doch konnte er ihr nicht entgehen.
Tag und Nacht waren immer vorhanden. Ein ewiger Kreislauf, den auch er nicht durchbrechen konnte.
Es wäre jetzt für ihn an der Zeit gewesen, sich zu erheben, um den Wald zu verlassen. Er tat es nicht, weil er sich einfach zu schwach fühlte. Er hockte allein, und wenn er in die Höhe schaute, sah er schwach einen wolkigen Himmel über sich, der sich bald verdunkeln würde. Dann war der Abend da und ihm würde die Nacht folgen, die er - da war er sich sicher - hier im Wald verbringen würde. Das Schicksal hatte sich ihn ausgesucht, und dabei würde es auch bleiben.
Er merkte, dass um ihn herum eine gewisse Ruhe herrschte. Da sang kein Vogel, da huschte kein Tier vorbei. Er blieb in der Stille gefangen, und nur wenn er seine Hände durch das Laub bewegte, entstanden die raschelnden Geräusche.
Die Wunde brannte noch immer.
Sie schien tiefer geworden zu sein. Das Stechen strahlte ab und erreichte seinen gesamten Körper. Er fühlte sich wieder schlechter und innerlich so aufgeputscht und nervös. Etwas Fremdes war in ihn eingedrungen und ließ ihn nicht mehr los.
Dann warf er sich zurück. Er musste es einfach tun. Er lag auf dem Rücken, er schlug in das Laub hinein, indem er seine Arme heftig bewegte. Zuckungen übermannten ihn. Leise Schreie drangen aus seiner Kehle, und auf seiner Haut juckte es. Er spürte das Ziehen im Gesicht, als würde jemand an seinen Wangen zerren und versuchen, die Haut in die Länge zu ziehen.
Das alles durchlitt er, und als der Anfall vorbei war, schaute er auf seine Handrücken.
Dort hatte sich etwas verändert. Feine dunkle Härchen wuchsen dort, die es zuvor nicht gegeben hatte.
Ein Anfang!, schoss es ihm durch den Kopf. Es war ein verdammter Anfang, das wusste er. Und wenn die Zeit fortgeschritten war, würde es mit seiner Verwandlung weitergehen.
Ich bin kein Mensch mehr. Nein, ich bin nicht mehr normal. Ich bin ein Mittelding zwischen Mensch und Monster. Ich kann es nicht beeinflussen. Es ist der verdammte Biss des Wolfes. Er hat mich angefallen, er hat seine Zähne in mein Fleisch geschlagen. Er hat den Keim gelegt, und ich bin ihm ausgeliefert.
Er wollte es nicht. Es gab nur keinen anderen Weg für ihn, und er musste sich damit abfinden. Seine Gedanken drehten sich um die Verwandlung. Er überlegte, was er beim ersten Mal alles durchlitten hatte, aber die Gedanken verschwammen.
Irgendwann würden sie gar nicht mehr vorhanden sein. Dann war der Mensch in ihm verschwunden. Dann gab es nur noch das Tier, das danach lechzte, Menschen zu töten.
Ein Fluch. Ein furchtbarer Fluch, dem er nicht entrinnen konnte. Und es war ihm auch nicht möglich, sich aus eigener Kraft zu befreien. Er würde immer auf die Hilfe anderer angewiesen sein, die ihn vom Töten abhielten.
Brett Mahony saß in der Mulde. Das Laub bildete seine weiche Unterlage. Er nahm den Wind wahr, der durch sein Gesicht strich, er schmeckte den Wald noch intensiver als sonst. Den erdigen Geruch, die Fäulnis der Blätter, all die Vergänglichkeit, die zu einem Monat wie dem November gehörte.
Noch immer lag der Schweiß auf seinem Gesicht. Jetzt war er kalt geworden.
Der Ire hob die Hände an, um sein Gesicht abzutasten. An den Fingern wuchsen die fremden Haare noch nicht. Auch die Handflächen waren frei davon. Nur wenn er die Hände umdrehte, sah er die Anzeichen, die ihm sagten, dass es mit seiner menschlichen Normalität vorbei war.
Plötzlich hörte er das Rascheln. Mahony schrak leicht zusammen. Er dachte daran, dass er das Geräusch selbst erzeugt haben könnte, doch seine Hände lagen still. Erst allmählich begriff er, dass irgendetwas außerhalb der kleinen Mulde geschehen sein musste, und er musste den Kopf drehen, um etwas erkennen zu können.
Viel sah er nicht. Wohl die Bäume, doch nicht den Boden, auf dem sie wuchsen. Da musste er über den Rand der Mulde hinwegschauen, was ihm nur unvollständig gelang.
Aber das Rascheln blieb.
Nicht nur das, es näherte sich seinem Platz und verstärkte sich entsprechend.
Ein Tier?
Vielleicht auch ein Mensch.
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