1539 - In der Eastside
hohem Maß mit giftigen Salzen angereichert, daß es erst bei extrem tiefen Temperaturen gefrieren konnte. Zwischen den Ruinen des Industrieviertels war der Boden größtenteils von ebenso giftig schillerndem Schlamm bedeckt.
Die eigentliche Stadt - jener Teil, in dem die Blues gelebt hatten - bestand aus großen, kastenförmigen Gebäuden, die wohl auch in der Blütezeit dieser Ansiedlung keinen wesentlich erfreulicheren Anblick geboten hatten, als es jetzt der Fall war. „Hier muß die Selbstmordrate ziemlich genau auf gleicher Höhe mit dem Intelligenzquotienten des Architekten gelegen haben", lautete Tekeners vernichtendes Urteil. „Unmöglich", erwiderte Dao-Lin-H’ay. „So intelligent kann der nicht gewesen sein!"
Sie schaltete ihr Gravo-Pak ein und schwebte in jene Richtung, in der sie schon von der ARDUSTAAR aus eine der noch existierenden Energiequellen ausgemacht hatten.
Der Terraner folgte ihr.
Die Energiequelle befand sich in einem Gebäude am Rand des Wohnviertels. Es war eines der wenigen Bauwerke, deren Dächer noch intakt waren. In unmittelbarer Nachbarschaft, schon auf dem Gebiet des Industriegeländes, erhoben sich riesige, runde Türme, die nach oben hin offen waren und an gigantische Schornsteine erinnerten.
Sie landeten auf der von Sand bedeckten Straße und umrundeten das quaderförmige Gebäude in der Hoffnung, einen Eingang zu entdecken.
Aber da war nichts: Keine Tür, kein Fenster.
Ronald Tekener zog schweigend den Impulsstrahler. „Tu es nicht!" sagte Dao-Lin-H’ay leise.
Er runzelte die Stirn und wartete. „Wir werden beobachtet", erklärte die Kartanin. „Von wem?"
„Das weiß ich nicht."
„Und wo steckt unser unbekannter Freund?"
Sie schien zu lauschen. „Da ist jemand", sagte sie schließlich.
Sie stieg schnell und steil in die Höhe und tauchte von oben herab in eine halbzerfallene Halle auf der anderen Seite der Straße hinein. Augenblicke später kam sie durch eine der Türen wieder zum Vorschein. „Er ist weg", sagte sie lakonisch. „Bist du sicher, daß es nicht nur eine Täuschung war?" fragte Tekener skeptisch. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß hier noch jemand leben soll. Er käme nicht ohne technische Hilfsmittel aus, und die müßten wir schon längst bemerkt haben."
Dao-Lin-H’ay zuckte die Schultern. „Laß uns die nächste Stelle untersuchen", schlug sie vor.
Tekener hätte es zweifellos vorgezogen, sich mit Hilfe des Desintegrators Zugang zu dem Quader zu verschaffen. „Das können wir immer noch tun", sagte die Kartanin. „Laß uns noch ein wenig damit warten."
Sie schwebte voran.
Diesmal flogen sie nicht über die Dächer der Stadt hinweg, sondern sie blieben in geringer Höhe und folgten dem Verlauf der Straßen.
Es war ein seltsames Gefühl, zwischen den Ruinen dieser Stadt herumzufliegen. Das hier waren nicht die Überreste einer alten, versunkenen Zivilisation mit all dem Reiz, der den Hinterlassenschaften ausgestorbener Kulturen anhaftete. Vielleicht würde sich später auch hier etwas von diesem besonderen Flair aufbauen, aber dazu mußten sicher noch viele Jahrhunderte verstreichen.
Bis dahin zeigten sich die Ruinen von Kyrd in brutaler Offenheit als Nachlaß einer nur am Profit orientierten Horde von Barbaren.
Wie Heuschrecken waren die Blues über diesen Kontinent des Planeten hergefallen, hatten rücksichtslos alles an sich gerissen, was ihnen als wertvoll erschien, und waren dann weitergezogen.
Es hatte sie offensichtlich nicht gekümmert, welche Verwüstungen sie hinterließen. Sie hatten jedenfalls nicht einmal des leisesten Versuch unternommen, die Spuren ihrer Habgier wenigstens oberflächlich zu verwischen.
Es schien absolut unvorstellbar, daß es hier noch Leben geben könnte.
Und doch sah Ronald Tekener, daß die Kartanin ab und zu plötzlich zusammenzuckte, den Kopf wandte und einmal sogar in eine der Ruinen hineinsteuerte.
Er folgte ihr, zwischen herabhängenden Metallträgern hindurch und an aufgerissenen Wänden vorbei.
Dicke Staubwehen lagerten in allen Ecken und Winkeln. Armdicke Rohre aus verschiedenfarbigem Plastik hingen wie die Gedärme toter Tiere aus mannshohen Schächten heraus. Der Boden war teilweise eingebrochen. „Wer sollte hier wohl wohnen?" fragte der Terraner deprimiert.
Die Kartanin schwieg. Sie spähte in das nächste Stockwerk hinab, schwebte hinunter und kam nach kurzer Zeit wieder herauf. „Hier", sagte sie und hielt Tekener einen Gegenstand hin, den sie mitgebracht hatte.
Es war
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