154 - Die Kralle des Todes
die Porta Pinciana die Grenzmauern des klassischen Roms, und hier begann nach Norden der ausgedehnte Park der Villa Borghese.
Nicht ganz ohne Absicht hatte Coco diesen Platz zum Treffpunkt gemacht. Der Ort war leicht zu finden, relativ übersichtlich, und sie konnte in mehr als ein halbes Dutzend Richtungen verschwinden, falls hier eine Falle auf sie wartete.
Coco hatte sich betont unauffällig gekleidet. Der Fiat Uno mit der Dachbeule parkte nur wenige Dutzend Meter entfernt unter ein paar Bäumen. Coco selbst hatte sich ebenfalls unter einem Baum plaziert. Sie wartete ab. Sie hatte zwar keine eigentliche Zeit für das Treffen genannt, aber eine unterbewußte Richtlinie vorgegeben. Sie schätzte, daß ihre beiden Helfer, falls sie es sich nicht noch anders überlegt hatten, innerhalb der nächsten halben Stunde auftauchen mußten.
Der Verkehr war hier mäßig. Der erste große Schub des chaotischen Frühverkehrs war bereits vorbei, die Szene beruhigte sich etwas. Erst in etwa einer Stunde würde es wieder hektischer werden. Bis dahin hoffte Coco mit den beiden Magiern bereits in der Villa Doria Pamphili zu sein.
Sie fühlte sich etwas unbehaglich. Irgendwo tief in ihr war eine Ahnung, daß nicht alles so lief, wie sie es eigentlich beabsichtigte. Aber sie konnte nicht sagen, wovor sie ihr Gefühl eigentlich warnen wollte. Ein direkter Angriff schien nicht bevorzustehen.
Coco sah ein schwarzhaariges Mädchen, das über den Corso d'Italia heranschlenderte. Es trug ausgelatschte Schuhe und ein altes, hier und da wohl geflicktes langes Kleid. Das Mädchen sah sich immer wieder um. Coco überlegte. Sollte das die magisch Begabte sein, die erwähnt hatte, daß alles seinen Preis hat?
Coco vollführte einen kleinen Zauber und stimmte sich auf das Mädchen ein. Sie erkannte ein ausbaufähiges magisches Potential, und da war auch eine gewisse Grundausstrahlung, die sie an den Kontakt des vergangenen Abends erinnerte.
Sie ist es, frohlockte Coco. Dennoch blieb sie vorsichtig. Sie mußte mit einem Überfall Angelinas rechnen. Sie hütete sich, die rothaarige Teufelin zu unterschätzen.
Aber nirgendwo war etwas zu erkennen, das auf Angelinas Nähe hinwies. Trotzdem blieb das ungute Gefühl in Coco. Irgendeine Überraschung stand bevor, und es würde keine gute sein.
Sie wußte, daß sie sich auf keinen Kampf einlassen durfte. Sie hatte sich noch nicht wieder völlig von den vergangenen Anstrengungen erholt. Sie durfte sich nicht schon wieder verausgaben.
Das Mädchen kam näher. Als es den kleinen Platz erreichte, sah es sich suchend um, und Coco trat unter dem Baum hervor. Sie winkte der Fremden zu.
Carina wartete zwei vorüberjagende Autos ab, dann lief sie über die Straße zu Coco und blieb vor ihr stehen.
„Wir sprachen gestern auf ungewöhnliche Art miteinander", sagte Coco. „Du bist also gekommen." „Ja", sagte die Schwarzhaarige. „Ich bin Carina. Du bedarfst meiner Hilfe?"
„Deiner Hilfe und der eines weiteren Magiers. Ich hoffe, daß er kommt", sagte Coco. „Du bist keine Dämonin."
Es war eine Feststellung, keine Frage.
Carina schüttelte sich. „Nein", sagte sie leise. „Aber ich kenne Dämonen."
„Es wird dich vielleicht überraschen, daß ich einmal der Schwarzen Familie angehörte", sagte Coco. „Hilfst du mir trotzdem?"
„Wenn ich helfen kann", sagte Carina. Sie legte den Kopf in den Nacken. Ihre Augen verengten sich. „Da ist etwas", sagte sie.
Coco ruckte herum, sah ebenfalls hoch. Das Alarmgefühl in ihr wurde superstark. Über ihr befand sich etwas in den Ästen des Baumes, vom dichten Laub umgeben! Coco überkreuzte zwei Finger und flüsterte ein Zauberwort. Die Äste teilten sich. Etwas stürzte herunter und klatschte vor den beiden Mädchen auf den harten Boden.
Carina schrie auf.
Einige Passanten sahen herüber und blieben stehen.
Cocos Augen weiteten sich. Sie sah einen uralten, nackten Greis. Er war tot. Und doch bewegte er sich. Ein magischer Bann lag über dem Toten. Er richtete sich jetzt auf und stand schwankend vor den beiden Mädchen.
„Polizia!" schrie auf der anderen Seite des Platzes eine aufgedonnerte Dame, kaum weniger fossil als der sich bewegende Leichnam. In unmittelbarer Nähe waren keine Zuschauer; die aus der Ferne sahen kaum mehr als den nackten Greis, nicht aber, daß er ein Untoter war.
Er öffnete den zahnlosen, faltigen Mund. Er begann zu sprechen, aber Coco erkannte, daß nicht er selbst es war, der die Worte formte, obgleich er in der
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