154 - Die Kralle des Todes
sagte er böse.
„Verlangst du von mir, daß ich Dorian sterben lasse? Mit viel Glück hat er noch zwei Tage. Er kann sich kaum noch aus eigener Kraft bewegen! Eigentlich müßte er im Krankenhaus künstlich ernährt werden. Aber das ist sinnlos, die Entkräftung schreitet dennoch weiter voran."
„Ich verlange nicht, daß du Dorian sterben läßt - ich verlange nur, daß du nicht um diesen Preis um sein Leben kämpfst. Du bringst die Kleine in Todesgefahr! Angelina wird sie finden und töten. Fontanelli ist tot, dein zweiter Kontaktpartner ist tot! Die verdammte Rothaarige findet und tötet jeden, der uns hilft! Wir stehen hier auf verlorenem Posten. Laß uns zurückkehren nach Castillo Basajaun."
„Dorian ist nicht mehr transportfähig", erinnerte Coco leise.
Die Tür öffnete sich. Carina stand da. Sie zitterte.
„Laßt es uns versuchen", sagte sie.
Coco war sich nicht sicher, ob die zusammengeschaltete Kraft von Carina und ihr ausreichen würde, den Keim des Todes vorübergehend wieder zum Stillstand zu bringen. Aber sie mußte es versuchen. Sie konnte und wollte einfach nicht zulassen, daß Dorian starb. Sie griff auch nach dem kleinsten Strohhalm. Solange auch nur der winzigste Hauch einer Chance bestand, war es töricht, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen.
Hinzu kam, daß Dorians Pessimismus sich immer mehr verstärkte. Es mußte eine Nebenwirkung der Krankheit sein. Unter normalen Umständen hätte er sich auch so nicht aufgegeben. Ihm fehlte jetzt der Lebenswille, und das gab der magischen Krankheit weiteren Freiraum. Dorian mußte ein Erfolg vorgezeigt werden, damit er wieder Hoffnung fand. Er mußte zur Hoffnung gezwungen werden. Coco beschloß, ihn zu hypnotisieren und ihm Hoffnung einzusuggerieren. Dann würde er selbst an der Eindämmung der Krankheit mitarbeiten. Die Psyche eines Patienten hat immer stärksten Einfluß auf den Verlauf der Krankheit.
Vor allem jedoch kam es auf den Zeitgewinn an. Wenn sie den Keim vorübergehend blockierten, und das vielleicht noch einige Male hintereinander, hatten sie möglicherweise genügend Zeit, sich etwas wirksameres auszudenken. Coco wollte es einfach nicht wahrhaben, daß es gegen Rettis Krankheitskeim kein Mittel gab. Bei dem Ministersohn Marco hatte der magielose Zustand die Krankheit ausgelöscht.
Vielleicht ließ sich künstlich so etwas Ähnliches wie ein magieloser Zustand erzeugen. Möglicherweise fand Unga einen Fingerzeig in den beiden magischen Büchern, die die Zerstörung des Hermon-Tempels überstanden hatten. Wahrscheinlich suchte er längst darin.
Zeit gewinnen! Zeit gewinnen!
„Laß uns allein, Abi", bat Coco.
Sie übernahm die Vorbereitungen. Stumm sah Carina ihr zu, wie Coco überall im Zimmer magische Zeichen anbrachte. Carina spürte die Macht, die von diesen Zeichen ausging. Sie selbst wäre allein nicht in der Lage gewesen, sie anzubringen. Ihre Kräfte waren dafür nicht genügend geschult. Coco machte es mit leichter Hand, und dabei spürte die Hexe, wie schwach Carina wirklich war. Sie würde keine große Hilfe sein.
Dennoch…
Coco entkleidete sich und rieb ihren Körper mit einem Extrakt aus verschiedenen seltenen Pflanzen ein, den sie am Tag vorher zubereitet hatte. Dieser Pflanzensaftextrakt sollte ihre Ausdauer erhöhen. Sie forderte Carina auf, es ihr gleich zu tun. Die junge Hexe zögerte, dann aber folgte sie Cocos Aufforderung. Es gab kein Zurück mehr. Die Vorbereitungen waren getroffen, das Werk mußte beginnen.
Dorian war entkräftet eingeschlafen. Und das, obwohl er das Experiment hatte beobachten wollen! Aber Coco war froh darüber, daß er schlief. So konnte sein Pessimismus keinen inneren Widerstand gegen das Experiment leisten.
„Berühre meine Hände. Schalte deine Gedanken aus und laß dich von mir leiten", verlangte Coco. „Du brauchst nicht mehr zu tun, als deinen Geist mit meinem zu vereinen und mir deine Kräfte zu leihen."
Sie bediente sich alter Zauberformeln. Sie wußte, daß sie sich gewissermaßen auf unbekanntem Terrain bewegte. Ihre Spezialität war die Zeitveränderung und die Hypnose, und sie beherrschte ein paar einfachere Zaubertricks, aber das hier war schon stärkere Magie, die mehr erforderte.
Aber sie schaffte das, was sie schaffen wollte. Ihrer beider Bewußtseine öffneten sich und neigten sich einander zu, gingen eine enge Verbindung ein, ein geistiger Rapport entstand. Jede blieb Herrin ihrer ureigensten Gedanken, Wünsche und Träume, denn die Tiefen des
Weitere Kostenlose Bücher