154 - Schloß der tausend Schrecken
aus der Schlinge. Als er zurücktreten wollte, öffnete sich unter seinen Füßen die Falltür. Er warf sich reaktionsschnell zur Seite, blickte verdattert nach oben, starrte die Schlinge an und massierte bleich seinen Hals.
Verdammt, wenn er jetzt den Kopf noch in der Schlinge gehabt hätte, wäre er erledigt gewesen. Er stand mit weichen Knien auf.
»So etwas machst du nicht noch mal!« schrie Lauren ärgerlich.
»Komm jetzt sofort herunter!«
Er gehorchte. Terence Lockridge half ihm, die Falltür nach oben zu drücken und den Riegel vorzulegen.
»Ihre Freundin hat recht«, sagte der Fabrikant leise. »Solche Spä- ße sollten Sie lieber bleiben lassen.«
»Versprochen«, sagte Perkins. Auf dem Friedhof klagte Lauren Majors dann über die grelle Sonne, sprach von rasenden Kopfschmerzen, einem Migräneanfall.
Sie spielte gut, übertrieb es nicht, denn sonst hätte sie Ross Perkins zurückbegleitet. Sie traf genau die richtige Nuance. Man bedauerte sie.
»Ist bald vorbei«, versicherte sie. »Es genügt, wenn ich mich ein bißchen hinlege. Wir sehen uns später.« Und schon war sie weg.
Inzwischen schaute sich Dennis Marvin tatsächlich ein paar Bücher an. Was hätte er sonst tun sollen?
Man achtete im Schloß sehr auf Stil, und es wäre ein Stilbruch gewesen, wenn man überall gewissenhaft Staub gewischt hätte. Ein bißchen Patina da und dort konnte nicht schaden, und die meisten Spinnweben ließ man auch dort, wo sie waren, denn das trug sehr zur allgemein unheimlichen Atmosphäre bei.
Dennis Marvin schmökerte in einem schweren alten Folianten, von dem er zuvor kräftig den Staub gepustet hatte. Das Buch berichtete in Bild und Schrift über die Hexenprozesse im Lande. Manche Darstellungen waren so grauenvoll realistisch, daß der junge Mann rasch weiterblätterte.
Schaudernd fragte er sich, was das damals für Menschen gewesen sein mochten, die anderen so großes Leid zufügen konnten.
Aber gab es sie nicht immer noch? Folterknechte, Henker…
Amnesty International kannte bestimmt viele namentlich.
Lauren Majors betrat beschwingt das Schloß. Ihre Augen strahlten wie immer, wenn sie eine Eroberung gemacht hatte. Was machte es schon aus, daß Dennis noch nicht einmal halb so alt war wie sie?
Wenn es ihn nicht stört, dachte sie, und ein kleines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen, mich bestimmt nicht.
Sie drückte die schwere Tür zu und drehte sich, ein Lied summend, um. Wie aus dem Boden gewachsen stand Lurch vor ihr. Der bleiche abstoßende häßliche Butler verzog das Gesicht zu einem unnachahmlichen Grinsen.
Lauren riß sich zusammen. Wenn er der einzige Mann auf der Welt wäre, würde ich es mir glatt abgewöhnen, dachte sie nervös.
Aber es gibt glücklicherweise auch noch Ross Perkins – und Dennis Marvin.
»Oh, Lurch«, sagte sie, mit einem Lächeln ihren Schrecken überspielend.
»Geht es Ihnen gut, Mrs. Majors?« fragte der Butler.
»Oh, ja, ja. Ja. Eigentlich schon. Ein bißchen Kopfschmerzen… Die Sonne scheint zu grell …«
»Vertragen Sie die Sonne nicht?« fragte Lurch. Das schien ihm zu gefallen. Blaß, wie er war, ging er vermutlich nie in die Sonne. Sie hätte seinen ungesunden Teint verderben können.
»Ich liebe die Sonne«, antwortete Lauren. »Nur… manchmal wird sie mir ein bißchen zuviel, aber das ist nicht weiter schlimm.«
»Wo sind die anderen?«
»Sie sehen sich den Friedhof an. Ich mag keine Friedhöfe.«
»Warum nicht?«
»Ich finde, sie erinnern einen zu sehr an die Vergänglichkeit des Menschen. Einst blühendes Leben – und später… nur noch ein Haufen Knochen. Ich darf darüber gar nicht groß nachdenken, sonst werde ich depressiv.« Sie achtete kaum darauf, was sie plapperte, dachte nur an Dennis, der in der Bibliothek sehnsüchtig auf sie wartete.
Der junge Mann stellte den Folianten ins Regal zurück, legte den Kopf schief und sah sich die Goldprägungen der anderen Buchrücken an.
»Hallo«, sagte plötzlich jemand hinter ihm, und als er sich umdrehte, erblickte er Lauren. Sein Herz schlug sofort schneller. Er musterte sie mit begehrlichen Blicken. »Ich wurde von Lurch aufgehalten«, sagte sie, seine Blicke genießend. »Ich mußte den häßlichen Butler erst abschütteln.«
Dennis schüttelte nervös den Kopf. »Ist schon in Ordnung. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.«
»Sie?« fragte Lauren verwundert. »Ich finde, in dieser Situation sollten wir nicht so förmlich sein.«
»Wie du meinst.«
Sie lächelte.
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