1545 - Vampirtränen
und diesen Sieg würden sie nicht vergessen.
Clara stand nach wie vor am Fenster. Wäre sie ein Mensch gewesen, sie hätte gekeucht, aber sie war kein Mensch, sie war eine Blutsaugerin, die Gefühle eigentlich nicht kannte, abgesehen von dem, was sie im Moment durchmachte.
Sie sah den Männern nach, wie sie verschwanden. Nur einer drehte sich noch mal um, weil er einen Blick auf das Haus werfen wollte. Auch über das Fenster, hinter dem Clara stand, glitt sein Blick, doch seine Augen waren nicht gut genug, um die Gestalt dahinter erkennen zu können.
Und so schulterte er seine Lanze und verschwand ebenso wie die anderen Gestalten im Schutze der Nacht.
Clara bewegte sich nicht von der Stelle. Sie war zur Salzsäule erstarrt.
Doch dann spürte sie plötzlich Hass in sich aufsteigen.
Hass auf diejenigen, die Galina getötet hatten.
Hass auf sich selbst, dass sie nicht eingegriffen hatte.
Er war wie eine innere Flamme, die sie fast verzehrte. Sie stöhnte auf, und im Haus war es ihr plötzlich zu eng geworden.
Sie musste raus.
Clara lief in die Dunkelheit und die Stille hinein. Nichts in dem verwilderten Garten bewegte sich. Am Himmel war eine schwarze Wolkendecke aufgezogen, die die Nacht noch dunkler machte. Kein Lichtstrahl durchbrach sie, aber auch in der tiefsten Dunkelheit sah sie als Vampirin noch perfekt.
Am Ort, wo die Person, die ihr so wichtig gewesen war, ihre Existenz verloren hatte, blieb sie stehen.
Sie schaute nach unten.
Staub, so gut wie farblos, lag vor ihren Füßen. Die Reste derjenigen, die sie so geliebt hatte.
Aus ihrem Mund drang ein Laut, der schon als menschlich bezeichnet werden konnte. Es war ein leises Stöhnen und zugleich ein Ausdruck der Trauer.
Clara sprach die Rest aus Staub an.
»Es ist noch nicht beendet«, versprach sie mit leiser Stimme. »Sie werden dafür bezahlen, dass sie dich vernichtet haben, das kann ich dir schwören.«
Dann lachte sie auf.
Es klang böse und grausam. So schnell wie das Lachen aufgeklungen war, brach es wieder ab. Mit einer heftigen Bewegung drehte sie sich um und lief ins Dunkel der Nacht hinein, das sie sehr bald verschluckte…
***
Das Eis schmolz allmählich im Becher zusammen. In der Masse bewegte sich der Löffel langsam zur Seite, und ich beobachtete den Vorgang mit Argusaugen.
»Willst du dein Dessert nicht mehr essen?«, fragte ich.
Jane Collins schüttelte den Kopf. »Nein, John. Auch wenn du mich steinigst, das ist mir zu viel. Zu mächtig, wenn du verstehst. Das schaffe ich nicht.«
»Der Zander liegt doch nicht schwer im Magen.«
»Trotzdem.«
»Okay, wie du willst.«
Jane Collins und ich hatten wirklich gut gegessen. Eine Vorspeise, das Hauptgericht, doch beim Dessert hatte sie passen müssen, ganz im Gegenteil zu mir.
Wir saßen in einem der recht neuen Restaurants hoch über der Stadt.
Da wir einen Platz am Fenster bekommen hatten, genossen wir einen prächtigen Ausblick auf das vorweihnachtlich geschmückte London.
Wieder mal neigte sich ein Jahr dem Ende entgegen, und ich hatte Jane Collins zu diesem kleinen Essen eingeladen.
Es wurde mal wieder Zeit. Lange Zeit hatten wir uns nicht gesehen, aber wir lebten noch, und es ging uns auch gut. Zu einer beruflichen Zusammenarbeit war es in den letzten Wochen nicht gekommen, aber das war nicht tragisch, wie ich fand. So konnte Jane Collins ihrem Job als Detektivin nachgehen und ich dem meinen.
»Und dann haben wir bald Weihnachten«, sagte sie und fügte hinzu: »Ein christliches Fest, das ich mit einer Blutsaugerin feiern kann, die sich bei mir eingenistet hat.«
Damit hatte sie Justine Cavallo gemeint, die auch unter dem Spitznamen die blonde Bestie firmierte.
»Wie geht es Justine eigentlich?«, fragte ich.
»Wenn du schon von gehen sprichst, dann sage ich dir, dass wir uns nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.«
»Du ihr oder sie dir?«
»Wir uns beide, John. Ich habe noch immer meine Probleme damit, dass sie bei mir lebt, wobei man von einem normalen Leben bei ihr ja nicht sprechen kann. Es ist nun mal so, und manchmal denke ich, dass sie kein richtiger Vampir ist.«
»Was dann?«
Jane stützte eine Hand gegen ihr Kinn und dachte nach. Zur Feier des Abends hatte sie ein lindgrünes Kleid aus Wolle angezogen, das ihre Figur sehr betonte. Dazu trug sie eine schlichte Perlenkette. Einen Teil der blonden Haare hatte sie nach hinten gekämmt, was ihrem Gesicht einen leicht strengen Ausdruck verlieh.
»Hast du mich gehört?«
»Ja, ja, schon. Ich denke nur
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