1546 - Voltago der Diener
einzelnes Wesen aber nicht fassen konnte ...
Als die Fähre den Kreis der Pyramiden passiert hatte, tat sich vor ihnen eine Parklandschaft auf.
Büsche, ausladende Bäume und niedrige Grünflächen bedeckten einen Kreis von zwei Kilometern Durchmesser. Nichts hier wirkte wild und sich selbst überlassen. Einmal erhaschte sie einen Blick auf Gärtnerrobots, die über eine Wiese schwebten, und Gesil konnte sich vorstellen, daß eine kleine Heerschar von ihnen im Park an der Arbeit war.
Im geometrischen Zentrum des Diskus lag ein freier Platz.
Voltago ließ die Fähre direkt darauf zuschweben.
Tausende von Truillauern standen auf unsichtbaren Prallfeldern zwei Meter hoch in der Luft.
Und wie das erste Empfangskomitee winkten auch sie frenetisch mit ausgefahrenen Tentakeln. Grelle Strahlbahnen lösten sich als Salut aus dem Boden. In hundert Metern Höhe spielte sich ein Projektionsspektakel in allen Regenbogenfarben ab. „Der Bewahrer hat sich Mühe gegeben", stellte sie fest. „Ein netter Empfang. Nur der Festredner selbst ist wieder einmal nicht gekommen."
Voltago landete das Fahrzeug, die Haube klappte hoch. Von einer Sekunde zur anderen umfing sie gellender Jubel. Die Worte hörten sich zwar wie Spekra an, doch einen Sinn oder ganze Sätze erkannte sie nicht.
Gesil stieg als erste aus - und sah vor sich ein rotes, energetisches Förderband. Auf Terra wurden Ehrengäste oft mit einem roten Teppich begrüßt. Das rote Band erfüllte denselben Zweck. Mißtrauisch hielt sie zunächst eine Fußspitze hinein, und sie bemerkte, daß die Sohle mit sachter Kraft vorwärts gezogen wurde.
Der Jubel schmerzte in ihren Ohren. Wenn der Bewahrer geglaubt hatte, sie damit zu beeinflussen, hatte er sich getäuscht. Gesil betrat das rote Feld; allein, um dem Empfangskommando zu entkommen. Hinter ihr folgte Voltago, dessen vergewisserte sie sich mit einem raschen Blick.
In der Mitte des Platzes tat sich eine Bodenschleuse auf.
Zehn Sekunden später umgaben sie die nüchternen Wände eines Antigravschachts, der Jubel verstummte.
Schweigend sanken sie tiefer. Jedoch nur zehn Meter weit: Dort erwartete sie ein simples Personenförderband. „Ich habe es überstanden, wie?" meinte sie ironisch. „Ja. Hier unten ist alles Routine."
Voltago führte sie mehr als drei Stunden lang durch die Korridore und Hallen im Innern des Diskus. Die ganze Zeit behauptete er, sie seien auf dem Weg zu ihrer neuen Unterkunft. Natürlich glaubte sie kein Wort davon.
Diese schwimmende Insel durchmaß gerade drei Kilometer - und sie hatten auf Bändern und in Schächten mindestens dreißig zurückgelegt. Aber vielleicht, dächte sie, hatte sie beim Anflug nur die Spitze eines Eisbergs gesehen.
Das Innere der Insel sah aus wie tausend andere Stationen. Geschäftige Tätigkeit auf der einen Seite, Tausende von genormten Truillauern an der Arbeit. Andererseits kilometerlang leere Gänge, dazu verlassene Zentralen, worin wie von Geisterhand bewegt Schaltvorgänge abliefen.
Niemand schenkte ihr Beachtung. „Morgen wird einiges anders sein", kündigte Voltago an. „Morgen werden sie wissen, wer du bist."
„Ich wüßte lieber, wer ich für den Bewahrer bin. Außerdem bin ich müde. Ich möchte mich ausruhen."
Wortlos drehte der Klon mitten im Gang um und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Von nun an dauerte es keine fünf Minuten, dann waren sie am Ziel. Da vorn begann ein schräg aufsteigender Schacht.
Tageslicht fiel durch das Glas.
Gesil erkannte, daß sie eine der Pyramiden betreten hatten.
Ein aufwärts gepoltes Antigravfeld zog sie so langsam hoch, daß genügend Gelegenheit für ausgiebige Blicke blieb. Von hier aus bot sich eine gänzlich neue Perspektive: Vor ihren Augen erschien der Diskus als hochgelegenes Plateau, und zwischen den übrigen Bauten herrschte reger Fahrzeugverkehr.
Auffallend war lediglich, daß niemand den Park überflog.
Knapp unterhalb der Pyramidenspitze verließen sie den Schacht. „Diese Etage dient dir als Wohnung", meinte der Klon. „Niemand hat hier ungebeten Zutritt."
„Außer dir, nicht wahr?"
„Sicher. Ich bin dein Leibdiener. Aber ich werde nicht ständig in der Nähe sein."
„Das freut mich zu hören. Lasse mich nun allein. Ich sehe mir diese Wohnung auf eigene Faust an."
Im tiefschwarzen Gesicht des Klons war keine Regung sichtbar. „Wenn du Wünsche hast", sagte sie, „dann genügt ein Ruf."
„Gut zu wissen."
Gesil preßte die Lippen aufeinander. Sie wurde also abgehört, aber
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