1546 - Voltago der Diener
was anders hatte sie erwartet?
Voltago verschwand, ohne daß seine Wadenblöcke den Boden berührten. Wie meistens deutete er die Schritte nur an, schwebte in Wirklichkeit aber zwei oder drei Zentimeter über dem Glassitboden der Pyramide. Überall dieses Glassit; es erinnerte sie an die Kabinenflucht an Bord der CASSADEGA. Alles sah durchsichtig aus, doch wenn man bestimmte Punkte fixieren wollte, war das unmöglich.
Sechs Räume bildeten diese Ebene der Pyramide. Zwei waren als Schlafzimmer hergerichtet, einer als Naßzelle mit angrenzendem Schwimmbad. Der nächste Raum enthielt ein komplettes Kommunikationszentrum, in dem allerdings kein einziges Gerät funktionierte, und die beiden restlichen Zimmer standen mit Wohnmöbeln voll.
Die Wände waren in Pastelltönen eingefärbt. Dazu hingen überall feine, durchsichtige Tücher, die auf jeden Luftzug mit sanfter Bewegung reagierten.
Sie war tatsächlich müde.
Gesil schwamm ein paar Runden, nahm dann eine Mahlzeit und wollte sich gerade schlafen legen.
Plötzlich schwebte vor ihren Augen eine winzigkleine Kugel. Es war dasselbe Gerät wie an Bord der CASSADEGA; oder zumindest dieselbe Bauart: Lautlos kam die Kugel auf sie zugeflogen, streifte ihre rechte Wange und verschwand schließlich in ihrem Ohr.
Ihre Reaktion kam zu spät, sie konnte es nicht mehr verhindern. Der Schlag mit der Hand ging bereits ins Leere.
Ein Schauer jagte ihr Gänsehaut auf den Rücken. Vom Ohr aus legte sich Hitze über ihren Kopf. „Gesil!" flüsterte eine Stimme im Standardidiom der Galaxis Truillau. „Ich hoffe, du kannst mich hören. Hier spricht ein Vertreter der Topar auf Meliserad. Wir kennen deinen Werdegang. Auch dein Verhältnis zum Bewahrer, außerdem zu Per-E-Kit und unserer Widerstandsorganisation. Innerhalb der nächsten Tage werden wir dich befreien. Vertraue auf uns. Verzweifle nicht."
Nein! wollte sie rufen. Laßt das bleiben! Doch gerade rechtzeitig fiel der Frau ein, daß sie abgehört wurde.
Statt dessen fuhr die Kugel fort: „Diese Verbindung ist einseitig. Es gibt keine Möglichkeit, mit dir einen Plan abzusprechen. Wir bitten dich, auf ungewöhnliche Zeichen zu achten. Und wenn es soweit ist, vertraue uns.
Dies ist das Ende der Nachricht. Der Nachrichtenträger wird sich in zwei Sekunden zerstören."
„Nein!" schrie sie nun doch noch. Helle Panik durchzuckte sie.
Keine Explosion in ihrem Ohr!
Mit den Fingerspitzen riß sie sich fast die Ohrmuschel auf, doch an die Kugel kam sie nicht heran. Im nächsten Augenblick hörte sie eine Art leises Zischgeräusch. Tatsächlich keine Explosion. Gesil legte den Kopf schief.
Aus ihrem Gehörgang rieselte feiner Staub zu Boden.
Als sich die Panik gelegt hatte, mußte sie lachen.
Und ein bestimmter Satz der Nachricht kam ihr nochmals ins Gedächtnis: Wir kennen deinen Werdegang, auch dein Verhältnis zum Bewahrer.
Dabei wäre sie froh gewesen, hätte sie ihr Verhältnis zum Bewahrer selbst gekannt. Die Ungewißheit wirkte auf die Dauer wie seelisches Gift. Etwas anderes aber war ihr völlig klar: Sie wollte nicht befreit werden, bevor nicht alles geklärt war, was mit dem Bewahrer, Monos und einem Dutzend kleinerer Geheimnisse zusammenhing.
Nicht zu vergessen Voltago, der Klon.
*
Den nächsten Tag verbrachte sie mit Erkundungen. Sie hatte überall in der Pyramide freien Zutritt. Die Truillauer begrüßten sie mit großer Ehrerbietung, wo immer sie auftauchte. Nur ein einziger Raum blieb ihr verschlossen: und zwar ausgerechnet der, der über ihrer eigenen Unterkunft lag.
Sie rechnete sich aus, daß die Spanne bis zur Pyramidenspitze noch etwa zehn Meter betrug. Für mehr als ein oder zwei große Räume reichte die Fläche ganz gewiß nicht.
Gesil stellte sich auf einen Stuhl an den Rand des Antigravschachts. Draußen schien gerade die Sonne; grelles Licht brach sich an den polierten Flächen der übrigen Bauwerke. Jeder konnte sie sehen. Aber sie störte sich nicht daran, solange nicht Voltago auftauchte.
Das Antigravfeld schien durchaus bis nach oben zu reichen. Allerdings existierte in Höhe ihrer Zimmerdecke ein Prallfeld. Keine Möglichkeit, hinaufzukommen. Aber ihr Instinkt riet der Frau, nicht lockerzulassen.
Einen zweiten Versuch unternahm Gesil mit der Stuhllehne - und tatsächlich, der Stuhl drang durch. Dieses Schirmfeld hielt ausschließlich organische Materie ab. Mehr noch, vielleicht sogar nur sie und sonst niemanden.
Ganze zwei Meter galt es zu überwinden.
Hätte sie nur einen
Weitere Kostenlose Bücher