1546 - Voltago der Diener
weiten Blickwinkel; die übrigen Sechskantpyramiden leuchteten aus sich heraus, als hätten die Wände das Licht des Tages gespeichert. Dazu kamen unzählige Luken, beleuchteter Gleiterverkehr zwischen den Bauwerken.
Meliserad war das Zentrum der Macht.
Dafür allerdings herrschte erstaunlich wenig Betrieb. Aber vielleicht war es eine trügerische Ruhe wie das Auge im Zentrum eines Hurrikans.
Sie verließen den Schacht, liefen ein paar Minuten durch leere Korridore und betraten dann einen zweiten Schacht. Nochmals legten sie um die zweitausend Meter Höhenunterschied zurück. Der Diskus ragte beachtlich weit in die Tiefe. „Von hier starten wir", erklärte der Klon.
Vor ihr lag eine gläserne Halle.
Oben war feste Decke, doch nach unten und zu den Seiten hin erstreckte sich dunkles Wasser.
Also tatsächlich eine schwimmende Insel. Der Meeresboden war nicht erkennbar.
Auf einem gläsernen Zwischendeck standen acht Gleiterfähren. Voltago wählte eine davon aus.
Es handelte sich um dasselbe Modell wie das, mit dem sie die CASSADEGA verlassen hatten. Über ihnen klappte eine transparente Haube zu.
Voltago berührte die Kontrollen mit keinem Finger; auch das war wie beim ersten Flug mit einem dieser Gefährte. Der Gleiter erhob sich lautlos und steuerte eine beliebige Stelle in der unteren Inselwandung an.
Eine paßgenaue Schleuse stand plötzlich offen. Sie stießen durch, ohne daß mehr als ein paar Tropfen Wasser in den Hangar gedrungen wären. Schlieren überzogen die durchsichtige Kuppel - und Voltago beschleunigte den Gleiter mit hohen Werten. Hinter ihnen blieb eine Spur aus trägen Strudeln zurück. „Wohin geht es?" fragte sie. „Das weiß ich selbst noch nicht. Mein Spürsinn wird mich leiten."
Gesil hielt vergeblich nach Unterwasserlebewesen Ausschau. In diesen Tiefen erkannte sie nichts als eintönige, sehr dunkelblaue Farbe. Doch der Ton des Wassers hellte sich auf, je mehr Voltago den Gleiter in Richtung Oberfläche steuerte. Hier schwammen bereits unzählige Klumpen verschiedenster Größe im Wasser. Gesil meinte, einige davon sich bewegen zu sehen; doch sie hatte sich gewiß getäuscht.
Aus tristem Dunkelblau wurde das schimmernde Türkis, das sie schon beim Anflug wahrgenommen hatte. In perlenden Tropfen umgab die Genetische See den Rumpf ihres Fahrzeugs. Reflexe von Tageslicht brachen sich in der transparenten Kuppel.
Da war die Oberfläche.
Mit hundert Stundenkilometern Geschwindigkeit tauchten sie auf. Der Gleiter durchstieß die Grenze zwischen Wasser und Luft, rutschte sekundenlang fast ohne Kontakt zu den Wellen und senkte sich dann wieder hinab.
Hinter ihnen entstand eine Kielwoge aus sprühender Gischt.
Der Fahrtwind blies in dicken Schlieren Flüssigkeitsreste vom Gleiter. Hunderte von Schleimklumpen wurden mit herabgespült, und Sekunden später ließ der Klon die Haube nach hinten gleiten. Jetzt erst begriff Gesil, weshalb der Rumpf dieses Fährentyps so stromlinienförmig gebaut war: Man konnte ihn gleichzeitig als Boot benutzen.
Ihre Haare flatterten im Wind. Über dem Horizont ging gerade die Sonne unter; doch der Vorgang nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch als auf der Erde. Doppelt so lange, schätzte sie. Ein 48-Stunden-Tag wahrscheinlich.
Unmittelbar neben ihnen tauchte plötzlich eine der hellblauen Zonen auf, die sie schon beim Verlassen des Residenzschiffs bemerkt hatte. Voltago änderte unverzüglich den Kurs. Die Fähre glitt in respektvollem Abstand daran vorbei. „Was ist da vorn los?" wollte sie wissen. „Zersetzungsprodukte", gab der Klon einsilbig zurück. „Giftgasgefahr. Du trägst keinen Schutzanzug. Die Genetische See ist nicht ohne Gefahren."
Man hätte die Kuppel schließen können, dachte sie, aber sie war froh, daß der Klon es nicht tat.
Dazu genoß sie viel zu sehr den Sonnenuntergang. Über türkisfarbenen und hellblauen Zonen der blasse Himmel, darin als blutrote, versinkende Scheibe die Sonne Meliserads. Millionen Facetten brachen sich auf den Wellen. Meliserad. Zentrum der Macht.
Darunter hatte sich Gesil wahrscheinlich etwas anderes vorgestellt, nämlich eine waffenstarrende Festung mit wimmelndem Leben. Die Realität wollte ihr einfach nicht in den Kopf. „Wir nähern uns", sagte Voltago plötzlich.
Gesil schaute nach vorn und entdeckte, verteilt über eine weite Fläche, mindestens drei Dutzend dünne Masten.
Vier davon standen jeweils dicht beisammen. Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten erkannte sie. Die Masten
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