1547 - Adel vernichtet
immer gegeben hatte.
»Was passiert jetzt?«
»Ich werde dich zu ihnen bringen.«
»Dann binde mich los.« Sie hatte die Antwort spontan gegeben, auch weil sie damit rechnete, dass sie durch die Bewegungsfreiheit vielleicht eine Chance zur Flucht erhielt.
Sie wurde ihr durch die Worte des Butlers genommen.
»Nein«, sagte er, »du wirst gefesselt bleiben. Ich werde dich und den Stuhl gemeinsam zu ihnen schaffen.«
Dinah war nahe daran, loszuschreien, aber sie riss sich zusammen. Sie machte sich unwillkürlich steif, als der Butler zugriff. Und sie wunderte sich, dass sie noch eine Frage stellen konnte.
»Warum helfen Sie diesen Monstern? Sie sind doch ein Mensch. Sie sind kein Monster wie die de Geaubels. Bitte, wir gehören doch zusammen. Retten Sie mich. Tun Sie mir diesen Gefallen und sich selbst damit auch. Irgendwann wird man es Ihnen bestimmt danken.«
»Ich mag die Hölle! Ja, ich mag sie, und mir wurde ebenfalls das ewige Leben versprochen. Deshalb helfe ich.«
Dinah Cameron wusste jetzt, dass sie keine Chance mehr hatte, den Mann auf ihre Seite zu ziehen. Obwohl er sein menschliches Aussehen behalten würde, gehörte er zu den de Geaubels, und das würde auch so bleiben. Davon musste sie jetzt ausgehen.
»Ihr seid alle verflucht!«, flüsterte sie. »Ja, ihr seid die Verfluchten! Ich weiß es. Mein Gott, das ist schrecklich. Ihr gehört in die Hölle und nicht in diese Welt.«
Clarence gab ihr keine Antwort. Er handelte nur, und er zeigte, welche Kraft in ihm steckte. Mit beiden Händen hielt er den Stuhl an den Seiten gepackt. Mit einer schnellen und ruckartigen Bewegung hob er ihn mitsamt der Gefangenen an, die plötzlich über dem Boden schwebte und leicht schwankte.
Sie selbst konnte nichts mehr für ihr Gleichgewicht tun, das musste sie dem Butler überlassen, und sie hoffte insgeheim, dass er seine Last fallen ließ und sie so aufschlug, dass sie bewusstlos wurde und von alldem nichts mehr mitbekam.
Er trug sie hinaus, und ihr Wunsch erfüllte sich nicht. Seine Kraft war ungewöhnlich. Man sah sie ihm nicht an, doch er trug die Gefesselte vor sich her wie auf einem Tablett.
Dinah bekam alles mit. Und sie fühlte sich dabei wie eine Person, die neben sich stand, weil ihr Denken ausgeschaltet worden war.
Sie hielt die Augen offen. Dicht vor sich sah sie das starre Gesicht des Butlers, bei dem sich die schwankenden und unregelmäßigen Schritte in zuckenden Bewegungen bemerkbar machten.
Dinah wusste nicht, wohin sie gingen. Sie hatte das Gefühl, nichts mehr sehen zu können. Die Welt um sie herum war verschwommen, und es kam ihr vor, als wäre sie in eine Vorhölle eingetreten, hinter der das eigentliche Grauen lag.
Dann waren sie am Ziel. Da Dinah mit dem Gesicht zu Clarence saß, sah sie nicht, wohin der Butler sie gebracht hatte. Sie spürte nur die Wärme des Kerzenlichts auf ihrem nackten Körper.
Und sie hörte die Flüsterstimmen, aber sie verstand nicht, was gesprochen wurde.
Der Butler setzte den Stuhl ab.
Dinah hielt die Augen geschlossen. Am liebsten wäre sie in diesem Zustand geblieben, aber das hielt sie nicht lange durch. Kaum war sie abgesetzt worden und der Butler zurückgetreten, da musste sie die Augen einfach öffnen.
Das Zimmer kannte sie.
Den Tisch auch.
Da hatte sie schon gesessen, um mit den de Geaubels zu speisen. Auch jetzt war der Tisch nicht leer. Man hatte ihn neu eingedeckt, aber nur für drei Personen, die bereits Platz genommen hatten.
Der Marquis, die Marquise und deren gemeinsamer Sohn.
Mutter und Sohn saßen sich gegenüber. Henri de Geaubel hatte seinen Platz am Ende des Tisches gefunden. Er schaute über die Platte hinweg und der Journalistin ins Gesicht.
Dinah hätte die Augen am liebsten geschlossen, doch da gab es etwas in ihr, das es nicht zuließ. Und was sie jetzt sah, war zu schlimm, um wahr zu sein, denn das Licht der in der Nähe aufgestellten Kerzen enthüllte ein grauenvolles Geheimnis.
Am Tisch saßen drei in prächtige Kleidung gehüllte Skelette!
***
Menschen, Monster?
Dinah war nicht fähig, eine Antwort darauf zu geben. Das Bild war für sie nicht akzeptabel. Als wirkliches Bild oder Gemälde hätte sie es akzeptiert, aber das hier war die raue und brutale Wirklichkeit. Das durfte es einfach nicht geben.
Die Teller waren noch leer. Die Bestecke lagen unberührt daneben. Aber die Gläser waren bereits mit einem tief roten Wein gefüllt, und Dinah sah jetzt, dass drei Knochenhände Zugriffen und die Gläser anhoben. Man
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