1547 - Adel vernichtet
prostete ihr zu, und sie fand es schon pervers, dies mit ansehen zu müssen.
Es waren nicht so starre Schädel, wie sie es am Beginn gedacht hatte.
Eine dünne Haut spannte sich noch über das Gebein, und auch die Augen waren vorhanden. Nur waren sie tief in die Höhlen hineingedrückt worden, und dort, wo sie saßen, entdeckte Dinah Cameron ein rötliches Funkeln wie von einem Laserstrahl abgegeben.
Die Gläser hielten sie noch in den Klauen, die über dem Tisch schwebten. Und dann zuckte die Journalistin noch mal zusammen, als sie die Stimme Henri de Geaubels vernahm.
»Wir trinken auf dich und auf das Schicksal, das dich in unser Haus geführt hat.«
Mehr sagte er nicht, aber jeder wusste, was nun folgen musste. Sie tranken.
Skelette tranken!
Ein Wahnsinn. Es wollte Dinah nicht in den Kopf. Es war einfach nicht zu begreifen. Die Gläser wurden an die Lippen gesetzt, falls noch welche vorhanden waren - so genau sah sie das nicht -, und wenig später floss der Wein in die Kehlen hinein.
Sie leerten die Gläser!
Dann setzten sie sie wieder ab.
Und abermals sprach der Marquis.
»Ein sehr guter Tropfen. Er ist deiner würdig, meine Liebe. Ich habe meinem Sohn dein Herz versprochen, und ich habe meine Versprechen bisher immer gehalten. Das wird auch heute nicht anders sein. Er bekommt dein Herz. Wir werden es in der Küche…«
»Neiiinnnn!«, schrie Dinah. »Neiiiinnnn…« Sie konnte nicht anders. Ihr war klar geworden, dass diese Halbtoten, die in ihren prächtigen Gewändern am Tisch sahen, keinen Millimeter von ihrem Vorhaben abweichen würden.
Schräg neben ihr stand der Butler wie ein Wächter. Er sagte und tat nichts, und auch die Familie bewegte sich nicht. Erst als Dinahs Schreien in ein Schluchzen überging, meldete sich der Sohn, der seiner Mutter gegenübersaß.
»Ich habe Hunger.«
Die Marquise lachte. »Das weiß ich doch. Und ich verspreche dir, dass du schon bald satt sein wirst.«
Eric glotzte Dinah an. »Sie ist so schön«, sagte er mit rauer Stimme.
»Sie ist so jung und so zart.«
»Ja, sie sei dir gegönnt. Du bekommst das Beste von ihr. Wir bescheiden uns.«
Plötzlich zitterte Eric. Seine Klauen rutschten auf der Tischdecke hin und her. »Bitte, ich möchte - ich…«
»Keine Sorge!«, meldete sich der Marquis. »Clarence wird dafür sorgen, dass es dir gut geht.«
Der Butler nickte.
Danach trat das große Schweigen ein, und diese Zeit zog sich hin, besonders für Dinah Cameron, denn sie war und blieb weiterhin die Hauptperson.
Der Marquis sorgte dafür, dass seine Frau und sein Sohn eine bestimmte Esshaltung einnahmen. Erst dann nickte er und rief mit halblauter Stimme: »Clarence!«
»Sir?«
»Walte deines Amtes!«
»Sehr wohl, Sir!«
Dinah hatte jedes Wort verstanden, obwohl ihr war, als würde sie zwischen Wirklichkeit und Traum pendeln. Sie spürte die Fesseln nicht mehr, sie sah sie zahlreichen Kerzenflammen nur verschwommen, und an ihrer Nase strich der Geruch vorbei, den die Dochte abgaben.
Aber sie sah auch, dass sich Clarence bewegte. Er hatte den Befehl genau verstanden und setzte ihn jetzt in die Tat um.
Er ließ die Gefangene allein, um an den Tisch zu treten.
Dinah hatte sich bisher nicht darum gekümmert, was dort noch seinen Patz gefunden hatte. Das andere hatte sie zu stark abgelenkt. Jetzt aber musste sie sich damit beschäftigen, denn der Butler hatte mit der rechten Hand zugegriffen und hob den Gegenstand an.
Es war ein Messer.
Ein kurzer Griff, aber eine lange Klinge, die recht dünn war, dazu an beiden Seiten geschärft, und die sich zu ihrem Ende hin immer mehr verjüngte, sodass sie zu einer Spitze auslief.
Ein Fleischermesser, wie es die Metzger benutzten, um das Fleisch zu zerschneiden.
Auch diesmal sollte damit Fleisch und Haut zerschnitten werden, nur nicht von einem toten Tier, denn dieses verdammte Messer war für einen lebenden Menschen bestimmt…
***
Dinah Cameron hatte alles mit ansehen müssen. Nichts war ihr entgangen, und sie wunderte sich darüber, dass sie so ruhig war. Die Angst und das Zittern waren verschwunden. Jetzt sah sie in ihrer Fesselung aus wie eingefroren.
Der Butler hob das Messer langsam an. Es schien ihm Spaß zu bereiten, aber in seinem Gesicht regte sich kein Muskel, es blieb so glatt und kalt wie immer.
Der Marquis des Geaubel wollte auf Nummer sicher gehen. »Du weißt Bescheid, Clarence?«
»Ja, Sir.«
»Trotzdem werde ich es dir noch mal erklären. Lass ihren Körper unbeschädigt. Kümmere dich
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