1547 - Sabotage auf Terra
führte sie unter den Blicken seiner Mitarbeiter aus der Halle hinaus in die Kantine. Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke neben der Tür, wo sie für sich allein waren.
Myles musterte seine Mutter.
Enza trug noch immer dieselbe Kurzfrisur wie früher, die aussah, als habe jemand die Haare abgebissen. Aber diese Haare waren seit dreizehn Monaten schneeweiß, und die großen und braunen Rehaugen vermittelten einen deutlichen Hauch von Melancholie. Tiefe Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben, auch nach über einem Jahr hatte sie den Tod ihres geliebten Notkus nicht überwunden.
Myles erging es ähnlich. Er hätte heulen mögen, jedesmal, wenn er seine Mutter sah. Aber er beherrschte sich und lenkte sich damit ab, daß er an seine Arbeit dachte und die vielschichtigen Probleme, die damit zusammenhingen. „Ich habe auch einen Auftrag angenommen", sagte Enza, als sie sich eine Weile stumm angestarrt hatten. „Tiff hat mich verständigt, daß die LFT jemanden für ein Forschungsvorhaben von großer Bedeutung sucht. Ich habe zugesagt und sitze jetzt in den Labors in den Bergen, die du so gut kennst!"
Myles sprang auf und stieß einen unterdrückten Schrei aus. „Kwai!" ächzte er. „Nein! Du bist in den Labors nördlich von Kwai?" Er sah ihr bestätigendes Nicken. „Ich kann es nicht glauben. Wieso ausgerechnet Kwai?"
Er starrte fassungslos auf seine Mutter. „Myles!" sagte sie in beschwörendem Ton. „Ich muß es tun, verstehst du? Ich darf nicht ewig vor der Vergangenheit fliehen. Wie stellst du dir das vor? Ich weiß, was du sagen willst. Setz dich erst wieder hin!"
Er ließ sich seufzend auf den Stuhl zurücksinken und stützte den Kopf in die Hände. Mit zusammengepreßten Lippen starrte er auf einen imaginären Punkt der Tischplatte. „Ich bin dort, wo ich mit Notkus zuletzt gearbeitet habe", begann sie sanft. „Viele Erinnerungen werden dabei wach, Erinnerungen, denen ich mich bisher nicht gestellt hatte, weil die Angst in mir zu groß war. Aber jetzt tue ich es und lasse es geschehen. Ich erlebe alle jene Tage noch einmal, die mit dem Projekt Metalyse zu tun hatten. Ich sehe ihn vor mir, wie er ebenso verbissen nach Fehlern suchte, wie du das immer tust, Myles. Wenn du deinem Vater in irgendeiner Beziehung ähnlich bist, dann in seiner Art, wissenschaftliche Probleme anzugehen. Glaube mir, die Begegnung mit der Vergangenheit tut mir gut. Ich arbeite all die Dinge auf, die ich mit meinem geistigen Auge vor mir sehe. Ja, manchmal schrecke ich empor, wenn jemand die Labors betritt, und bilde mir ein, daß es Notkus ist. Es ist absurd, nicht wahr?"
Sie lächelte, und die vielen Falten in ihrem Gesicht glätteten sich ein wenig.
Myles verließ seinen Platz und trat neben Enza. Er legte den Arm um sie und sah sie eindringlich an. „Du tust es hoffentlich nicht, weil du dir noch immer Vorwürfe machst?" fragte er leise. „Weil du dir einbildest, daß es deine Schuld sei? Du weißt genau, daß du es dir monatelang eingeredet hast!"
„Ich täte es auch heute noch, wenn ich nicht nach Kwai gegangen wäre!" Sie küßte ihren Sohn auf die Stirn. „Und jetzt setz dich wieder hin, Myles!"
Sie wartete, bis er auf seinem Stuhl Platz genommen hatte. Sie berührte einen Sensor in der Mitte des Tisches, und das Tastenfeld des Automaten tauchte in der Tischfläche auf. Eine leise, angenehme Männerstimme begrüßte sie und begann sie über das Angebot an Speisen und Getränken zu informieren. Sie trafen ihre Wahl, und das Feld erlosch. „Was ist das für ein Projekt?" erkundigte sich Myles. „Es unterliegt vorläufig der Geheimhaltung, und ich kann auch dir nichts darüber erzählen. Aber denke jetzt nicht, daß es etwas Weltbewegendes ist. Tiff hat mich sicher nur darauf aufmerksam gemacht, weil er dachte, daß mir ein wenig Ablenkung guttun würde. Die Arbeit macht Spaß, und sie ist nicht auf die Labors in den Bergen nördlich von Kwai beschränkt."
„Luna?"
Enza schüttelte den Kopf und lächelte verstehend. „Nein. Wenigstens vorläufig habe ich nichts mit Luna zu tun. Die Kommunikation mit NATHAN läuft über die Funkanlagen."
„Der Metalysator existiert noch!" sagte Myles laut. „Ich weiß. Aber niemand darf ihn benutzen. Er wird wohl nie mehr zum Einsatz kommen. Du weißt, in welcher Weise sich Kallio Kuusinen und andere Verantwortliche geäußert haben."
„Es ist gut, Mutter!" Myles hatte begriffen. Sie hatte ihre lang anhaltende Krise überwunden, wollte nicht mehr mit Hilfe des
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